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■ Die Digitalisierung der Medienwelt verändert die Wahrnehmung – doch kaum jemanden interessiert esRevolution ohne Publikum

Noch bevor alle Welt von Globalisierung sprach, kam diese in der Glotze. Als in den Achtzigern die kommerziellen Sender die Soap ins Haus brachten, das Musikfernsehen MTV den Zeittakt und später CNN den Krieg, da war die Zeit der Entgrenzung so unbemerkt in die Wohnzimmer gelangt, daß alle Deregulierungsdebatten, die da folgten, ein bißchen wie eine Nachhut aussahen. Heute soll die nationale Zukunft im Globalen sogar von der Glotze abhängen: Die Teilhabe am digitalen Medienmarkt erklären sowohl der Zukunftsminister als auch der nordrhein-westfälische Wirtschaftsförderer Wolfgang Clement zur standortlichen Schicksalsfrage.

Auf der heute in Berlin beginnenden Internationalen Funkausstellung (Ifa) werden Medienkonzerne wie Politiker wieder den Milliardenmarkt beschwören, der da komme. Wie das Volk, das über die Ifa zieht und die Sticker der TV-Sender abgreift, hat sich die Politik dem glamourösen Fetisch der Medienwelt verschrieben. Obwohl die kommerzielle TV-Branche nach knapp fünfzehn Jahren eher durch riesige Verluste und Milliardentransfers nach Hollywood glänzt und Arbeitsplätze hierzulande spärlich entstanden sind, stellen alle Seiten munter ungedeckte Schecks auf die Zukunft aus. Je virtueller die Ware, desto phantastischer die Hoffnungen.

Doch bislang helfen alle Beschwörungen nichts. Nicht Bedenkenträgerei läßt die digitale Revolution stocken, vielmehr interessiert die Digitalisierung der Medien schlicht kein Schwein. Leo Kirch blamierte sich ein knappes Jahr bis an den Rand des Ruins mit seinem digitalen Pionierkanal DF1, der nun zugemacht wird. Eine ganz neue Erfahrung für den Medienvisionär Kirch, der bislang jede Marktentwicklung vorausgesehen hatte. Das Monopolkonglomerat von Bertelsmann, Kirch und Telekom, das jetzt einen Neustart wagt, hat die Erwartungen weit zurückgesteckt. Und daß all die schönen Digitalboxen und Angebote auch bei der nächsten Ifa als das allerneueste Ding angepriesen werden, ist keine besonders kühne Prophezeiung.

Allein RTL-Chef Helmut Thoma scheint einen kühlen Kopf bewahrt zu haben. Er argumentiert, das Digitale sei auch nur eine Technik und die Inhalte dieser Technik herzlich egal – ein Wechsel des Transportmittels verändere das Transportgut nicht. Folglich könne die Revolution vorerst abgeblasen werden. Doch das Brecht-Muster „Stell dir vor, es ist digitale Revolution, und keiner geht hin“ irrt. Denn auch die Fortsetzung des Verses läßt sich übertragen: Dann, so muß die Voraussage lauten, kommt die Digitalisierung eben zu dir. Denn wenn auch die Flucht ins Virtuelle nicht zum Rettungsanker in der schwindenden Industriegesellschaft taugt, findet die Revolution dennoch statt, notfalls ohne Publikum.

Soviel ist heute bereits sicher. Das digitale Transportmittel hat zwei unmittelbare technische Effekte: Es macht die Übertragung billiger und schneller und erlaubt den Hin- und Hertransport fast beliebiger Datenmengen durch die verschiedensten Netze. Das bleibt nicht ohne gesellschaftliche Folgen. Es wäre im übrigen auch das erste Mal, daß eine technische Veränderung der Informationsübermittlung nicht eine Veränderung der Informationen nach sich zöge. Mit einem Telegrafennetz konnte man eben ganz andere Dinge transportieren als mit der Brieftaube. Und so generiert irgendwann jede Übermittlungsform die Information, die am besten zu ihr paßt.

Die digitale Übermittlungsform, die sich in den nächsten zwei Jahrzehnten in der Medienwelt vollständig durchsetzen wird, könnte unser Verhältnis zu Information und die Eigentumsverhältnisse an ihr völlig verändern, wahrscheinlich erscheint auch, daß der Begriff und die Bedeutung von Öffentlichkeit sich grundlegend wandeln. Beispiel Fußball: Kommerzialisiert ist das Sportgeschäft längst. Nach den Vorstellungen der Konzernstrategen muß diese Entwicklung in den nächsten Jahren perfekt gemacht werden, weil sich nur mit Sport, so ihr Kalkül, dem Publikum in der ersten Phase überhaupt Geld fürs Digitale entlocken läßt. Denn das ist das Problem der Medienkonzerne: Wie dem Zuschauer schmackhaft machen, daß er für all das, was er bislang nahezu umsonst bekam, nun zahlen soll?

Das Spiel gehört den Konzernen (die dafür immense Summen an die Sportverbände gezahlt haben), die Sportarena, einst das öffentliche Forum par excellence, wird zum Zentrum privatwirtschaftlicher Verwertung. Wer gucken will, muß zahlen können, und zwar nicht zu knapp. So wie in den Innenstädten Habenichtse vertrieben werden sollen, wie die öffentliche Sicherheit zur Sache privater Sicherheitsdienste zu werden droht, wird die Digitalisierung der Medien dem Publikum öffentliche Güter entziehen.

Wie weit die Sache mit der Privatisierung schon gediehen ist, mag das Argument von Bertelsmann-Konzernchef Mark Wössner zeigen, der warnte, wenn die Politik die Konzerne an der freien Verwertung ihrer Sportrechte hindern sollte, dann liefe das auf „Enteignung“ hinaus. Nicht die Öffentlichkeit, der Konzern fürchtet die Enteignung.

Es geht um die Zukunft der Meinungsfreiheit. Natürlich werden Kirch und Bertelsmann ihr Monopol nicht zwangsläufig nutzen, um etwa Gerhard Schröder oder Jörg Haider hochzujubeln. Aber sie werden bestimmen können, wer was zu welchem Preis noch gucken kann. Und wenn Bertelkirch alle attraktiven öffentlichen Ereignisse zu Privateigentum machen, dann bestimmen sie indirekt auch die Qualität der politischen und kulturellen Informationen. Denn die Gebühren, die alle für ARD und ZDF zahlen, die solche bislang am zuverlässigsten gewährleisten, werden kaum Bestand haben, wenn die Öffentlich- Rechtlichen nur noch am Zuschauerrand ein Gnadenbrötchen nagen.

Angesichts all dieser Möglichkeiten ist es bedenklich, daß nicht nur die von der digitalen Revolution offerierten Waren wie Kirchs DF1 niemanden interessieren, sondern auch der Vorgang an sich. Während in den frühen Achtzigern, als es um die Einführung des Marktprinzips in den elektronischen Medien ging, die Diskussion noch reichlich ideologisch geführt wurde, ist Medienpolitik heute ein Thema für kleine Diskussionszirkel. Doch wer jetzt nicht dabei zugucken mag, wie die Medienzukunft gemacht wird, wird möglicherweise einmal ertragen müssen, daß er nicht mehr selbst entscheiden kann, wobei er zuguckt. Lutz Meier

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