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Die Opposition ist hoffnungslos verzankt

■ Nach dem Streit um den Wahlboykott nimmt die dubiose Neueinteilung der Wahlbezirke den Gegnern von Milošević die letzten Chancen

„Gott sei Dank, daß wir so eine Opposition haben!“ Die Mitglieder der regierenden Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) sind hoch zufrieden mit dem Zustand ihres politischen Gegners. Vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Serbien blickt das Establishment selbstgefällig auf die desorientierte Opposition herab.

Noch im vergangenen Winter war alles ganz anders. Damals sah es so aus, als habe es die oppositionelle Koalition Zajedno (Gemeinsam) geschafft, die Bürger Serbiens aus der Apathie zu rütteln und die demokratischen Kräfte zu vereinigen. Die weltweit bekanntgewordenen Massendemonstrationen brachten das serbische Regime ins Wanken. Hunderttausende marschierten täglich durch die Straßen und zwangen Slobodan Milošević mit einer „Lex specialis“, die Resultate der Kommunalwahlen anzuerkennen. Doch kaum hat Zajedno die Macht in allen größeren Städten Serbiens übernommen, fiel die Koalition auseinander. Die oppositionellen Führer, die einst Arm in Arm siegreich gekämpft hatten, beschimpften sich öffentlich, machten sich lächerlich, zeigten sich der Millionen Anhänger unwürdig, die ihnen trotz der Polizeiprügel gefolgt waren.

Genüßlich präsentierten die regimetreuen Medien die Selbstzerfleischung: Schaut her, die wollen euch regieren. Spätestens an der Frage von Wahlbeteiligung oder Boykott gerieten sich die Oppositionsführer endgültig in die Haare. Seitdem ist das alte Bündnis gespalten und hoffnungslos verzankt.

Zwölf kleine bürgerliche Parteien, angeführt von der Demokratischen Partei (DS), boykottieren den Urnengang. Begründung: „Das Regime hat nicht einmal minimale Bedingungen für faire, demokratische Wahlen gesichert“, so der Präsident der DS und Bürgermeister Belgrads, Zoran Djindjić.

Tatsächlich sind die Wahlbezirke in Serbien unmittelbar vor den Wahlen von 9 auf 29 erhöht und die Proportionen so zurechtgeschnitten worden, daß die Opposition nicht die geringste Chance hat. In Belgrad mit seinen zwei Millionen Wählern – eine Hochburg der Opposition – gibt es genauso viele Wahlbezirke wie in einigen von den Sozialisten dominierten ländlichen Regionen mit gerade mal 200.000 Wählern. Und die staatlichen Medien, moniert Djindjić, sind nach wie vor nichts anderes als ein Propagandainstrument von Milošević. Außerdem hätten die Wahlzettel keine Seriennummern und könnten, falls nötig, jederzeit in beliebiger Menge nachgedruckt werden.

Über den Wahlboykott berichten nur wenige unabhängige Medien, Studenten verteilen Flugblätter für „neue, faire Wahlen“. Aber Massendemonstrationen sind ganz ausgeblieben, das Volk ist müde. Sollte die Wahlbeteiligung tatsächlich unter 50 Prozent rutschen, müßten die Präsidentschaftswahlen verfassungsgemäß annulliert und neu ausgeschrieben werden. Und Djindjić wäre der große Gewinner. Wenn nicht, könnte sich seine Strategie schnell als politischer Selbstmord erweisen.

Vuk Drasković, Präsident der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO), hat sich dagegen entschieden, an den Wahlen teilzunehmen. Die SPO ist gut organisiert, die Show ihrer Wahlkampagne unter dem Motto „Einer für alle!“ ist auf dem Niveau amerikanischer Präsidentschaftswahlen angekommen. Die Mitglieder der Partei beten den charismatischen Drasković an. Einige fanatische Anhänger bombardierten Djindjić während einer Volkskundgebung mit Eiern. Mit Wonne und großer Ausdauer zeigte das staatliche Fernsehen das Bild des verschmierten, verklebten Bürgermeisters Belgrads, dem das Eigelb vom Kopf tröpfelte.

Redenkünstler Drasković kandidiert für das Präsidentenamt und liegt nach den Umfragen an dritter Stelle. Wie immer schafft er es, die Massen zu erheitern. Er bietet kein Programm, er bietet sich selbst. König und Krone will er nach Serbien zurückbringen, eine „parlamentarische Monarchie“ ist sein heiliges Ziel.

Wer seine politischen Freunde sind, hat Drasković eindrucksvoll demonstriert: Er war Trauzeuge des dubiosen Nationalistenführers Vojislav Šešelj (siehe oben). In Serbien ist das eine seriöse Angelegenheit, die für das ganze Leben verpflichtet.

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