piwik no script img

Wenn in Albano Laztale die Werkstätten schließen

■ ...präsentieren die Handwerker Giorgio Battistellis das „Experimentum Mundi“: Eine Oper zum Aufessen

Der Bäcker schlägt die Eier auf und zerknatscht genüßlich die Schalen. Der Schuster wetzt sein Messer, um das Leder exakt zu schneiden. Der Böttcher schlägt mit einem überdimensionalen Hammer die Ringe auf sein Faß. Die Maurer mischen den Zement und bauen die Mauer auf, der Schreiner sägt und hobelt sein Holz: Tageslauf der Handwerker in vielen Dörfern und Städten der Welt. Der italienische Komponist Giorgio Battistelli hat diesem Tagesablauf ein Stück gewidmet, das er „Experimentum Mundi“nennt. Als Musikfest-Beitrag war diese „Opera di musica immaginistica“für sechzehn Handwerker, vier Frauenstimmen, einen Schauspieler und einen Schlagzeuger jetzt im Theater am Goetheplatz zu erleben.

Schon mit „Stomp“, dem nun schon legendären Welterfolg der Musik aus Alltagsgeräuschen und Müll, haben wir eine geniale Vorstellung davon bekommen, welche Klangvielfalt sich einfachen Gegenständen entlocken läßt. Doch „Stomp“ist ästhetisch mit „Experimentum Mundi“insofern nicht vergleichbar, als die „Müllmusiker“absolute Profis sind. Battistelli, dessen Oper „Die Entdeckung der Langsamkeit“Anfang Oktober am Bremer Theater uraufgeführt wird, aber geht genau den umgekehrten Weg: Sein Schlagzeugstück aus Geräuschen und Rhythmen der Werkzeuge wird von den Handwerkern selbst aufgeführt. Fast ist es Arte Povera in Reinkultur, wären da nicht der professionelle Sprecher, der professionelle Schlagzeuger und der Komponist, die sich in ihrem Frackauftritt auch optisch – selbstkritisch? – von den Unterhemden und blauen Overalls der Handwerker absetzen.

Battistelli, fasziniert von der Welt der unerfaßbar unregelmäßigen Rhythmen der Handwerker, scheiterte mit dem Versuch, genau jenes ausgebildeten Schlagzeugern abzuverlangen. Mit der Entscheidung, die Handwerker seines Heimatdorfes Albano Laztale in der Nähe von Rom um die Ausführung zu bitten, nahm das gesamte Produkt auch ästhetisch eine andere Wendung. Battistelli wollte mehr und mehr den Schmieden und anderen weitgehend aussterbenden Berufsgruppen ein Denkmal setzen, die mythische Archaik ihrer Arbeit zeigen.

Das bringt ihn künstlerisch zwischen alle Stühle und in ein unlösbares Dilemma. So groß der Zauber war, den die Arbeiter mit ihren Tätigkeiten ausstrahlten, so sehr unsere Wahrnehmung auf Dinge jenseits aller Vernunft gelenkt wurde, so sehr wir die nicht zu fassenden Rhythmen und klanglichen Zusammenstellungen einfach genießen konnten, so sehr entstehen zugleich auch Widersprüche. Zum Beispiel der, daß Battistelli die Handwerker eben nicht ausreichend als einzelne Personen zeigt, ihnen – musikalisch – zu wenige Soli und sie – dramaturgisch – keine Geschichten entfalten läßt. Oder der, daß in dem rein klanglichen Material und seinen Strukturen doch noch sehr viel mehr erfunden werden kann, als hier zu hören war. Ein Regisseur hätte Hand anlegen müssen. Die wunderbaren Gesichtslandschaften – besonders der Älteren – tragen nicht ein ganzes Stück.

Aber wir wollen nicht zu viel meckern, handelt es sich bei dem Werk von Battistelli doch um eine zutiefst innovative Idee, um eine glaubwürdige politische Ästhetik, die eben einen anderen Weg sucht, als den über das Kunstwerk zur Revolution aufzurufen oder politische Strukturen zum Thema des Kunstwerks zu machen. Nicht unwichtig erscheint auch, daß es nicht nur um die schlagzeugartigen Geräusche geht, sondern Antonio, Ciro, Silvio und die anderen Arbeiter ihre Produkte während der Aufführung fertigstellen: Faß, Schuh, Mauer, Straße stehen und liegen am Ende genauso auf der Bühne wie die Tagliatelle des Bäckers Marcello. Angesichts des Zusammenbruchs der Systeme ist die Frage nach Funktion und Sinn des Kunstwerkes wieder ganz neu zu stellen. Davon zeugt die fragwürdige Konzeption der documenta X ebenso wie die erregte Diskussion über Widerstand und Ästhetik, die gerade im Schauspielhaus stattgefunden hat.

Battistellis Musiker sind von der ersten Stunde an dabei (1981), vier sind schon gestorben, nun machen es die Söhne. Das kulturelle Klima im Dorf habe sich vollkommen verändert, alle interessieren sich jetzt auch für experimentelle Kunst, was keine noch so tolle didaktische Belehrung je hätte leisten können, sagt Battistelli. „Werkstatt geschlossen – auf Tournee“steht in diesen Tagen an vielen Häusern des Dorfes Albano Laztale.

Ute Schalz-Laurenze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen