: Fanzine-Pogo
Erlebnisgastronomie der anderen Art für Flaschenkinder und Fußballfans von St. Pauli ■ Von Daniel Ganama
„Ich hab hier schon 3.000 Mark verzecht – mindestens“, überlegt Andreas Hornung und wiegt die Bierflasche in der Hand. Hier, das ist die Kneipe „Zum Letzten Pfennig“oder im Szene-Jargon nur „Pfennig“genannt. Hier trifft sich vom Fanzine-Macher bis zum unverbesserlichen Hardcore-Auswärtssupporter jeder, der in Fan-kreisen etwas auf sich hält.
Seit Dezember 1994 betreiben Klaus Holm und Marc Thiele die Trinkhalle an der Clemens-Schultz-Straße auf St. Pauli gemeinsam. Die Idee dazu kam ihnen, nachdem ihre vorige Stammkneipe wegen Ärger mit dem Besitzer zur No-go-Zone wurde. Anstatt aber einen neuen Heimathafen zu suchen, wurde ein eigener geschaffen – oder besser, gepachtet. Das eingeschossige Lokal, nur einen Steinwurf vom Wilhelm-Koch-Stadion entfernt, bot sich geradezu an, den verwaisten braun-weißen Recken von St. Pauli Obdach zu gewähren. Und so sieht Wirt Holm seinen Laden auch „weniger als Gastronomiebetrieb denn als Treffpunkt“. Man wolle vor allem einen Raum schaffen, wo „St. Pauli-Fans zusammenkommen und ungestört ein Bier trinken können“.
Die Einrichtung ist spartanisch oder besser: funktional. Ein Tisch, ein Tresen, zwei Klos und der unvermeidbare Kicker in der Ecke. Eine Zapfanlage gab es zwar mal, aber erstens „dauerte das den Gästen zu lange“und zweitens „sind das sowieso alles Flaschenkinder“.
Der erste Eindruck versetzt den Betrachter in die fünfziger Jahre zurück, als die Gastwirtschaft noch den Arbeitern der benachbarten Eisengießerei als erste Anlaufstelle nach Feierabend diente. Heutzutage platzt die Kneipe an Spieltagen aus allen Nähten, unter der Woche sieht es eher mau aus. Daher veranstalten die Betreiber von Zeit zu Zeit Besonderheiten, 1995 stand ein anarchistischer Pogo-Parteitag auf dem Programm, im vergangenen Jahr wurde zur Kostümparty unter dem Motto „Saufen, bis der Arzt kommt“geladen – Erlebnisgastronomie der etwas anderen Art.
Weil die Kneipe vor allem von den Heimspielen lebt, bedeutete der Bundesliga-Abstieg auch einen finanziellen Rückschlag für den „Pfennig“. Fallen die Spiele nun auf den Sonntag oder gar Montag, so kommt ein Teil der in Lohn und Brot stehenden Kundschaft nach dem Spiel nur noch kurz oder gar nicht mehr vorbei. Gäste um jeden Preis will man aber auch nicht. „Auf Prolls, Kutten und Assis verzichten wir gerne“, sagt Holm. Auch wenn die Ebengenannten vielleicht die Kasse klingeln lassen würden, ist es den „Pfennig“-Machern lieber, daß sie und ihre Stammkunden sich im selbstgeschaffenen Freiraum noch wohl- fühlen. Die Angst, daß das Ambiente der Gaststätte ebenso den Bach runtergehen könnte wie die Atmosphäre nebenan im Stadion, führt zu dem gewollten Drahtseilakt zwischen elitärer Cliquerei und offener Fankultur.
Politisch definiert sich die „Pfennig“-Crew als undogmatisch links – und animierte damit öfters hirn- oder haarlose Patrioten zum handfesten Austausch ihrer Argumentlosigkeit. Vor allem nach dem letztjährigen UEFA-Cup-Spiel des HSV gegen Celtic Glasgow kam es in und um den „Pfennig“zu Auseinandersetzungen mit Rechten.
Wie es mit dem „Pfennig“im nächsten Jahrtausend weitergeht, steht noch in den Sternen. Die Pacht läuft bis Ende 1999; ob sie angesichts der Yuppisierung des Stadtteils verlängert wird, ist fraglich. Ob die Kneipe dann allerdings noch mehr ist als eine anachronistische Mecker-Insel in einem Meer von gleichgeschalteten Jubelfans, die für das „Erlebnis St. Pauli“aus den Vorstädten zum Kiez pilgern, wird die Zeit zeigen. Bis dahin, skol!
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