■ Standbild: Wille zum Mythos
„24 Stunden“, Sonntag, 22.30 Uhr, Sat.1
Eine Straße ist eine Straße ist eine Straße. Oder ist da etwa mehr? Das muß doch mehr sein. So sprechen Reporter, wenn sie auf große Fahrt gehen. Rund 1.500 Kilometer lang ist die Verbindungsstraße zwischen Aachen und Kaliningrad, die 1934 von den Nazis zur Reichsstraße 1 erklärt und ausgebaut wurde. Von der Maas bis an die Memel repräsentierte sie auf hymnische Weise den Ausdehnungswahn der Nazis.
Der Jahrhunderte alte Handelsweg zwischen Ost und West war zu einem Sinnbild von Reichsmythos und Fortschrittswillen stilisiert worden. Die Spuren und Narben der Geschichte dieser Verbindung sind bis heute im Verlauf der Straße zwischen Holland, Deutschland, Polen und Rußland spürbar. Einst wurde Salz über den Hellweg, wie die westfälischen Teilstrecke der Straße genannt wird, transportiert, heute sind es vor allem Gebraucht- und Unfallwagen, die auf westdeutschen Märkten gekauft und nach Polen und Rußland gebracht werden. Ein Film über das rege Handelstreiben an einer Straße also, die schon immer durch Handel bestimmt war. Da gibt's noch immer viel zu sehen: Augen auf und Kamera drauf.
Aber wo man mehr vermutet, ist man mit einfachen Bildern nicht zufrieden. Diese Straße soll mindestens ein Mythos sein. Sie muß es sein. In seiner dreiteiligen 24-Stunden-Reportage macht sich Sat.1-Reporter Stefan Pannen sein Bild von der B1. Wir sehen das Bild einer Straße, auf der das Begehren von Passanten, die schnelle Mark zu machen, die Phantasie des Fernsehteams beflügelt. Daß Schmuggler, Drogenfreaks und Prostituierte unterwegs anzutreffen sind, verwundert nicht. Zum Authentizitätsbeweis läßt Pannen eine fixende Nutte auf dem Berliner Babystrich schnell noch einen Schuß setzen, bevor zu den illegalen Bauarbeitern am Potsdamer Platz rübergeschwenkt wird. Diese Straße, soll das Blut in der Armbeuge sagen, ist mehr, sie ist ein Mythos.
Das Sat.1-Team hätte die 1.500 Kilometer auch noch einmal zurückfahren können, sie hätten auch wieder nur die Bilder eingefangen, die sie sich zuvor ins Drehbuch geschrieben hatten. Nette Menschen sollen vorkommen, hatte darin gestanden, aber auch ein bißchen zum Ekeln vom Dasein links und rechts Straße. Da muß doch mehr sein. Die Reporter fahren immer noch. Harry Nutt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen