: Ferngesteuert am Stau vorbei
■ Ob die U-Bahn das Rennen macht, oder Autofahrer ohne Stau die Luft verpesten - mit einer großen Verkehrsinformationszentrale will Berlin die Welthauptstadt der Telematik werden
Die Entscheidung fällt erst fünf Minuten, bevor es los geht: Ist heute morgen das Fahrrad, die U-Bahn oder das Auto die schnellste Alternative für die Fahrt zur Arbeit? Ein kurzer Blick auf den handygroßen Bildschirm in der Jackentasche signalisiert Staus auf der Stadtautobahn, aber freie Fahrt auf allen benötigten U-Bahn-Strecken. Für das Fahrrad ist das Wetter zu schlecht. Also ab in die U-Bahn, die genau zwölf Minuten schneller sein wird als das Auto. Zukunftsmusik?
Berlin will die weltweit erste Metropole sein, die ihre Einwohner mit einem solchen Verkehrsinformationssystemen verwöhnt. Gestützt auf die Erfahrung aus dem seit zwei Jahren laufenden Versuch „Dynamisches Verkehrsleitsystem Berlin“ (DVB), will der Senat zunächst Auto- und Taxifahrer und die Angestellten von BVG und S-Bahn über Staus, die besten Fahrtstrecken und aktuelle, zuverlässige Fahrzeiten in der Stadt informieren, so Verkehrs-Staatssekretär Ingo Schmitt gestern auf einer Pressekonferenz mit Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann. Im Rahmen des DBV sind darum zur Zeit rund 600 Fahrzeuge unterwegs, die Daten über den Straßenverkehr an eine Zentrale senden und selbst von der Zentrale Informationen empfangen. Der Senat will so eine digitale Straßenkarte erstellen, die ständig für alle größeren Straßen anzeigt, wie viele Autos dort unterwegs sind. Bisher werden diese Daten genutzt, um Ampelphasen zu optimieren. Doch die Verkehrsplaner haben Größeres vor.
Zur Zeit entsteht im brandeburgischen Stolpe eine Verkehrsinformationszentrale – kurz VIZ –, in der alle verfügbaren Verkehrsinformationen gebündelt werden sollen. Mit den Daten von Polizei-, Taxi- und Feuerwehrzentralen, Bahn AG, S-Bahn und BVG könnte so eine Verkehrskarte entstehen, die an Genauigkeit und Aktualität alles übertrifft, was bisher denkbar schien. Die Informationen sollen überall abrufbar sein, zum Beispiel über Autoradios mit Text-Display, wie sie auf der letzten Funkausstellung unter dem Namen „Radio Data System Traffic Message Channel“ (RDS- TMC) Premiere feierten. Diese neue Technik kostet Otto Normalverbraucher rund 800 Mark, und Otto wäre laut Bundesverkehrsminister Wissmann „schön bescheuert“, sich heute noch ein Radio ohne RDS-TMC zu kaufen. Für Berlin steht aber zunächst im Vordergrund, den Verkehr so zu optimieren, daß man auch bei steigendem Verkehrsaufkommen ohne zusätzliche Flächen auskommt, so Verkehrspolitiker Schmitt. Um der Welt zu zeigen, daß Berlin und die deutsche Industrie Vorreiter im Bereich Telematik sind, findet vom 21. bis 24. Oktober auf Einladung von Bundesregierung und Senat der „Intelligent Transport Systems“ (ITS) Kongreß statt. 4.000 Fachleute werden dazu im ICC erwartet, das Motto des jährlich in einem anderen Land tagenden Meetings: „Mobilität für alle“. Hoffentlich bleiben die Fachleute mit diesem Wunsch nicht schon im Stau auf dem Kaiserdamm stecken. Marcus Franken
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