■ Eine junge Deutsche erlebte vor 25 Jahren unvorbereitet den Vietnamkrieg. Nun hat sie das Land wieder bereist: Als Krankenschwester arglos ins Kriegsgebiet
Eine Schwesternschülerin möchte Gutes tun, am liebsten in einem fernen, exotischen Land. 1968, kurz vor ihrem Examen, bietet ihr der Generalsekretär des Malteser Hilfsdienstes unverhofft einen Auslandsvertrag an: „Wir brauchen in Vietnam Krankenschwestern, hast du nicht Lust?“ Béatrice Hecht hatte. Sie ist 20 Jahre jung, hat als Absolventin einer Klosterschule nie ferngesehen, kaum Zeitungen gelesen und nicht viel von Indochina gehört. Auch ihr Arbeitgeber hält eine Vorbereitung nicht für nötig, weder auf die Landessprache noch auf die vietnamesische Kultur oder gar auf die Schrecken des Krieges.
Béatrice Hecht hat Glück im Unglück. Im Gegensatz zu etlichen KollegInnen überlebt sie ihren Kriegseinsatz. Doch sie kann ihr weiteres Leben nur meistern, indem sie die bedrückendsten Vietnamerlebnisse über viele Jahre hinweg aus der Erinnerung drängt.
Mitte der neunziger Jahre, nach über 25 Jahren, entschließt sie sich, noch einmal nach Vietnam zu fliegen. Das Buch, das sie danach veröffentlicht, ist als Reisebericht angelegt. Eine Reise, die vom Süden in den Norden des heutigen Vietnam führt. Zunächst gespickt mit Beschreibungen, die zu einem anderen Blick auf Vietnam anregen. Die Autorin schwelgt über die kulinarischen Köstlichkeiten, das üppige Marktgeschehen und die landschaftlichen Schönheiten. Wer über Vietnam hauptsächlich die Medienberichte der vergangenen Kriegsgreuel – von My Lai bis Agent Orange – im Kopf hat, der beziehungsweise die wird eines Besseren belehrt: Vietnam ist nicht nur ein vom Krieg gezeichnetes, sondern auch ein schönes, einladendes Land.
Die Spannung des Buches aber lebt davon, daß die Reiseroute sich immer mehr den Orten nähert, an denen die Autorin mit dem Malteser Hilfsdienst eingesetzt war. In knappen Sätzen erinnert sie sich „an die grausam verbrannten Kinder, Frauen und Männer, an die auch für mich schmerzhafte Behandlung ihrer Wunden, in denen Napalm noch viele Tage weiterfraß. An den Kleinen, den ich entbunden hatte und dessen Mutter dabei starb. Ich legte ihn in eine rote Schüssel, bis nach einiger Zeit ein alter Herr kam und seinen Sohn abholte.“
Eine verrückte Welt: Die deutschen Krankenschwestern, die die Leiden der vietnamesischen Opfer lindern, befreunden sich mit amerikanischen Soldaten, die das Unheil mitverursachen. Béatrice Hechts Freund ist ein hochrangiger, vom Vietcong gesuchter Pilot: „Ich war hin- und hergerissen zwischen meinen Gefühlen und seinen Taten.“ Jahre später wird sie seinen Namen unter den US-Toten dieses Krieges finden.
Béatrice Hecht-El Minshawi deutet an, daß der Einsatz in Vietnam ihr weiteres Leben bestimmt hat. „Wir reisten in ein Schreckensland ohne jegliche Vorbereitung auf Land und Leute oder auf den Krieg. Heute weiß ich, daß das unverzeihlich war.“ Sie arbeitete noch öfter im Ausland, doch nie wieder unvorbereitet. Heute verdient sie ihr Geld damit, andere Menschen auf fremde Kulturen einzustimmen.
Auch hat sie – wie viele vietnamesische Frauen – eine nach außen unsichtbare Kriegsverletzung erlitten. Sie war dem amerikanischen Entlaubungsmittel Agent Orange ausgesetzt, aufgrund dessen bis heute in Vietnam stark mißgebildete Kinder geboren werden. Béatrice Hecht-El Minshawi entschloß sich zur Kinderlosigkeit.
An manchen Stellen des Buches gehen die Empfindungen mit der Autorin durch, die sich zu naiv klingenden Formulierungen hinreißen läßt. Ihre Zuneigung zu Vietnam wirkt dann überzogen. So schreibt sie im Vorwort vom „exotischen Viet Nam mit seinen liebenswerten Menschen“. Da hätte frau sich ein strengeres Lektorat gewünscht. Barbara Debus
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