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Getötet für die Familienehre

■ Vater und Sohn starben für angeblich versuchte Vergewaltigung einer Tochter

Sadik S. gibt seine Tat zu. Anfang März hatte der 39jährige in Bremen-Nord zwei Menschen erschossen. „Wir leben für unsere Ehre, und, wenn nötig, sterben wir für unsere Ehre“sind nach Bekunden des Angeklagten die letzten Worte, die die Opfer hörten, bevor er schoß.

Nur einen Tag vorher war Sadik S. aus der Türkei zurückgekommen. Ob er mit dem Ziel zurücckam, die zwei umzubringen, muß nun das Gericht klären. Verprügeln wollte er den 16jährigen Schüler imBeisein seines ebenfalls toten Vaters, gibt er an. „Ich habe wirklich nicht daran gedacht, die zwei zu töten“, sagt der Angeklagte.

Bereits zugegeben hat der Angeklagte am ersten Tag seines Prozesses vor dem Landgericht, daß er den weiten Weg kam, um die Opfer zur Rede zu stellen. Eine Woche vorher habe er einen Anruf in der Türkei von seiner in Bremen lebenden Frau erhalten, erzählt er in gleichmäßigem Redefluß. Die ältere der zwei Töchter, so habe die Ehefrau berichtet, sei in der Schule beinahe von einem 16jährigen Mitschüler vergewaltigt worden. Zwei weitere Mitschüler seien beteiligt gewesen. Sadik S. beschloß, nach Deutschland zu kommen.

Die Vorbereitungen dafür dauerten eine Woche. Während dieser Zeit hatte er keinen Kontakt zu seiner Frau, die in Bremen auf seine Rückkehr wartete. Nur mit seinem Bruder, der ebenfalls in Bremen wohnt, will er noch geredet haben.

Am Hamburger Flughafen wird Sadik S. am 6. März von seiner Familie abgeholt. Auf dem Weg nach Bremen-Nord wurde angeblich nur oberflächlich über den Vorfall in der Schule geredet. Kaum zu Hause angekommen, machte sich Sadik S. wieder auf den Weg. Er findet Telefonnummer und Name des mutmaßlichen Belästigers heraus. Dann macht er sich auf die Suche nach dem 16jährigen Jungen, sucht in Bremen-Nord türkische Teestuben und den Bahnhof Vegesack ab. Jugendliche sagten ihm die Adresse der Familie, er klingelt, wechselt einige Sätze mit der Frau und Mutter der späteren Opfer. Der Sohn sei dagewesen, doch ohne das Familienoberhaupt wollte Sadik S. nicht verhandeln, erzählt er. Sadik S. verläßt die Wohnung wieder. Irgendwann in der Zwischenzeit hat er sich eine Pistole besorgt, eine 7/65er mit sechs Schuß. Zur eigenen Sicherheit, sagt der Angeklagte, denn er sei bekannt in Bremen – und seine Bekanntheit hätte die Gegenseite veranlassen können, sich selbst zu bewaffnen.

Erst am nächsten Tag kommt es zur Bluttat. In einer Teestube treffen die beiden Familienväter aufeinander – Sadik S. hatte weitergesucht. Es kommt zum Wortgefecht vor der Tür, doch die beiden einigen sich scheinbar: Mit dem Auto fahren beide zur Wohnung der Opfer, um den Sohn abzuholen. Auch der ältere Bruder steigt mit in den Wagen. Erneut kommt es zum Wortgefecht, Sadik S. besteht auf eine Gegenüberstellung von Sohn und Tochter. Der ältere Bruder muß wieder aussteigen, angeblich damit später genug Platz für die Tochter ist. Für den weiteren Verlauf gibt es keine Zeugen mehr. Sadik S. berichtet von Beleidigungen.

„Dann zog ich die Waffe und schoß“, erklärt der Angeklagte mit gleichmäßiger Intonation. Die Übersetzerin hat keine Mühe, synchron mit dem Redefluß mitzuhalten. Die Familienmitglieder der Opfer sitzen im Zuschauerraum still auf den Holzbänken von Raum 218 des Landgerichtes. Sadik S. hält seinen Blick starr auf die Richterbank gerichtet. In den Zuschauerraum blickt er nicht ein einziges Mal. Vorher war es einmal zu Zwischenrufen gekommen, Freunde der Toten mußten aus dem Gerichssaal entfernt werden. Den Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit zieht der Verteidiger aber später zurück. Für die Zuhörer gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Wie schon bei anderen Prozessen, in denen es um Familienfehden oder Blutrache ging, werden die Besucher nach Waffen abgesucht.

Mit zwei Schüssen trifft Sadik S. den 49jährigen, bevor er sich zur Rückbank dreht und auf den Jungen feuert. Zuerst zielt der Angeklagte auf den Genitalbereich des Schülers, drei weitere Schüsse fallen. Dann ist das Magazin leer. Mit der Faust oder der Pistole schlägt Sadik dem älteren Mann noch ins Gesicht. Er verläßt den Wagen, telefoniert kurz mit seiner Frau, steigt in einen Bus und fährt zur Polizei, wo er sich stellt. Die Beziehung zu seiner Frau und seinen zwei Töchtern beschreibt Sadik S. als gut. Religiös sei er, aber nicht verbissen. Ehekonflikte mit der deutschen zum Islam konvertierten Frau seien ausdiskutiert worden. Die Töchter allerdings habe er wohl unter Kontrolle gehabt. Daß seine pubertierenden Töchter ihn jemals angelogen hätten, kann er sich nicht vorstellen. Der Prozeß soll noch zwölf Verhandlungstage laufen. cd

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