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„Er kam, um der Familie beizustehen“

■ Prozeß wegen mutmaßlichem Rachemord fortgesetzt/Frau des Angeklagten sagt aus

Gestern saßen sie im Gerichtssaal nur zwei Meter auseinander. Der Mann der einen Frau, Zeugin, sitzt auf der Anklagebank; der Mann der anderen Frau, Nebenklägerin, ist tot. Gestorben ist er mit seinem Sohn, der vom Angeklagten verdächtigt wurde, seine Tochter sexuell belästigt zu haben.

Das, was Anfang März in Bremen-Nord geschah, hat mit den Männern der Frauen weitaus mehr zu tun, als mit ihnen selbst – doch für den Rest ihres Lebens werden sie die Geschehnisse wohl nicht mehr loslassen. An einem Punkt fangen beide Frauen an zu weinen, suchen nach Taschentüchern. Die Frau des Angeklagten hatte gerade ausgesagt, daß sie den Gewaltausbruch ihres Mannes nicht erahnt hatte, an dessen Ende zwei Menschen erschossen in einem Auto lagen.

Doch die Tränen vereinen die zwei Frauen nicht – unüberbrückbar scheint die Wut der einen auf die andere. Die Nebenklägerin zischt Worte in Richtung der Frau, die mit zwei Personenschützern im Saal sitzt um ihre Aussage zu machen. Zusammen mit ihren Töchtern lebt sie heute an einem anderen Ort. Zur eigenen Sicherheit.

Der Angeklagte Sedik S. war aus der Türkei angereist, nachdem er von einem sexuellen Übergriff auf seine Tochter gehört hatte. „Ich hatte den Eindruck, daß er gekommen war, um uns als Familie beizustehen“, gibt sie an. Ihre Stimme ist leise, oft kaum hörbar. Nur in Ausschnitten wird das Familiendrama erleuchtet. Seit Jahren nimmt die Mutter Beruhigungsmittel. Der Mann war lange allein in der Türkei, fern der Familie; aus Deutschland war er ausgewiesen worden.

Zum Islam war die 37jährige Deutsche vor ihrer Heirat mit dem Angeklagten übergetreten. Die Religion spielte in der Erziehung der Töchter eine große Rolle gibt sie an, aber: „Meine Kinder hatten Schwierigkeiten, sich in der islamischen Welt in Deutschland zurechtzufinden.“Discobesuche oder Kontakt zu Jungs war den Töchtern verboten.

Dann der Vorfall in der Schule. Was wirklich vorgefallen war in dem leeren Klassenzimmer, als die Jugendlichen alleine waren, kann das Gericht wahrscheinlich nicht klären. Fest steht: Am Ende fand die Mutter eine aufgelöste Tochter im Lehrerzimmer vor. Für die 15jährige hatte der Mitschüler wohl Grenzen überschritten. Auch die Tochter stand gestern auf der Zeugenliste. Doch die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen. cd

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