Kommentar: Grüsse von Süsifus
■ Warum die Rechtschreibreform immer mehr zur Posse gerät
Es gibt Altersgruppen in unserer Gesellschaft, die schon von Rechts wegen merkwürdigen Dilemmata ausgesetzt sind. Etwa die Sechs- und Zehnjährigen. Als Erst- und FünftkläßlerInnen sind sie nun in Hamburg dazu verdonnert, das Schreiben nach neuen Regeln zu lernen. Auf Mütter ist in punkto Nachhilfe ab sofort kein Verlaß. Wo sie noch mit dem Sütterlinüberbleibsel „ß“hantieren, trumpft der Nachwuchs mit „ss“auf. „Eindeutschend“heißt es fürderhin „Portmonee“. Und die Blumen haben alle nur noch „Stängel“. Süsifus lässt grüssen.
Doch nicht genug der Qual, wohnt der Nachwuchs nur einige Meter neben der Hansestadt, in Buxtehude etwa, lernt er völlig anderes. Denn hier bleibt – vorerst – alles beim alten. Taucht im neuen Schulbuch doch einmal die „Schifffahrt“auf, muß Niedersachsens Lehrerin den I-Dötzchen einbleuen: Das ist zur Zeit „nicht gültig“. Verwirrung ist programmiert. Der Umzug in ein anderes Bundesland wird zum sprachlichen Wagnis.
Hamburgs Richter wälzten das Problem gestern fröhlich auf das Bundesverfassungsgericht ab. Doch nicht nur das oberste Gericht wird sich nun mit dem Schrift-Dilemma auseinandersetzen. Auch die Abgeordneten des Bundestags wollen noch ein Wörtchen mitreden und über Sinn oder Unsinn von „Stängel“und „Portmonee“mitentscheiden.
Eine Posse sondergleichen. Bliebe eigentlich nur noch zu überlegen, ob nicht ein neues Schulfach für InländerInnen kreiert werden sollte: Deutsch als Fremdsprache, geeignet für alle Sprachreformgeschädigten des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Karin Flothmann
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