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„Mit Dienstleistungen in die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts“. Einen Tag vor der heutigen Eröffnung der Debis-Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin beschwor Daimler-Vorstand Schrempp vor Managern und Politikern die „Dienstleistungsrevolution“ Aus Berlin Hannes Koch

Heilmittel gegen die Depression

„Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts“ nannte der französische Wissenschaftler Jean Fourastié sein Buch. 1949 entwarf er die Vision eines goldenen Zeitalters für die entwickelten Industrieländer, in dem bald Wohlstand für alle herrschen sollte – dank des Aufschwungs der Dienstleistungsbranchen. Freizeitanlagen, Bibliotheken, professionelle Kinder- und Altenbetreuung, schnelle Verkehrswege und Informationskanäle in Hülle und Fülle sollten den Menschen Annehmlichkeiten bereiten und gleichzeitig jene Arbeitsplätze entstehen lassen, die der Prozeß der Rationalisierung in der Industrie vernichtet.

War wohl nix. Die Fabriken sterben, ohne daß die Dienstleistungsbranchen genügend Ersatzjobs bereitstellen können. In der deutschen Industrie und Landwirtschaft gingen zwischen 1991 und 1996 rund drei Millionen Stellen verloren, während die dienstbaren Geister von Telekommunikation über Softwareentwickler bis zum Unternehmensberater nur 900.000 neue Jobs anboten.

„Das wird sich ändern, weil es sich ändern muß“, war gestern die Botschaft der Daimler-Benz- Dienstleistungstochter Debis. Einen Tag vor der heutigen Eröffnung der Debis-Zentrale an Berlins Potsdamer Platz hatte man Politiker, Manager und Wissenschaftler zum Kongreß „Mit Dienstleistungen in die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts“ geladen. Die Veranstaltung im Berliner Abgeordnetenhaus diente nicht nur geschickter Eigenwerbung „als erstes Unternehmen am einstmals leeren Potsdamer Platz“, wie Debis-Chef Klaus Mangold formulierte, sondern erhob den Anspruch, Wege für die deutsche Gesellschaft oder gar für die ganze Welt aufzuzeigen.

Die Manager der großen Konzerne fühlen sich als Revolutionäre. „Die Dienstleistungsrevolution“, die Daimler-Vorstand Jürgen Schrempp beschwor, werde das globale Dorf „unausweichlich und radikal“ umgestaltet, assistierte Renato Ruggiero, Präsident der Welthandelsorganisation (WTO), ein Vorkämpfer des erdumspannenden Freihandels. Und wie sollen dabei neue Arbeitsplätze in der Bundesrepublik entstehen? Der wichtigste Punkt vieler Reden war die Kulturrevolution. „Den Begriff ,dienen‘ müssen wir wieder positiv besetzen“, mahnte Daimler-Chef Schrempp. Und Bundeskanzler Helmut Kohl klagte „Tugenden wie Freundlichkeit und Zuverlässigkeit“ ein, auf daß es in- und ausländischen KundInnen mehr Spaß mache, bei deutschen Unternehmen einzukaufen. Dadurch könnten fünf Millionen neue Jobs entstehen, aber eine Million in den nächsten Jahren seien auch schon ganz schön, meinte der Kanzler.

Für die Beschäftigten bedeutet „dienen“ eine zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse: mehr Teilzeitjobs, weniger Schutz vor Wochenend- und Nachtarbeit, häufigerer Stellenwechsel und lebenslanges Lernen. Für letzteres sei das deutsche Bildungssystem eine gute Basis, erklärte der per Satellit in den Plenarsaal übertragene Microsoftgründer und Dienstleistungs-Multimilliardär Bill Gates.

Ein heikles Thema umschiften die meisten Redner: Über die Absenkung der Löhne, die konservative Politiker und Wissenschaftler für einen notwendigen Bestandteil der Dienstleistungsgesellschaft halten, wurde nur am Rande gesprochen. Ganz im Gegenteil warnte Debis-Chef Mangold, daß „die Herausbildung einer Schicht von working poor“ – arbeitende Arme in den USA, die sich trotz Vollzeitjobs nicht ausreichend finanzieren können – hierzulande „vermieden werden“ müsse.

Wie bei den Debatten über die Dienstleistungsgesellschaft üblich, drehten sich die Visionen auch gestern im wesentlichen um die „produktionsorientierten Dienste“: Finanzberater, EDV-Entwickler, Marketingleute, Telekommunikationsexperten, die für Unternehmen arbeiten. Die eigentliche „Dienstleistungslücke“ in Deutschland aber lokalisierte der Berliner Stadtsoziologe Hartmut Häußermann schon vor Jahren bei den sozialen Diensten: Kinderbetreuung, Altenpflege, Kultur, Bildung, Freizeit. Hier könnten Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Dafür müßte der Staat aber, wenn Niedriglöhne unter Sozialhilfeniveau vermieden werden sollen, eine Basisfinanzierung leisten. Italiens Regierung hat bereits erste Schritte mit einem Gesetz unternommen, das gemeinnützigen Betrieben die Lohnnebenkosten finanziert. Und in Frankreich wurde ein Programm angeschoben, um 350.000 staatlich subventionierte Arbeitsplätze für joblose Jugendliche im Sozial- und Kulturbereich zu schaffen. Von derartigen Ideen war beim Kongreß des Finanz- und Telekommunikationsdienstleisters Debis keine Rede.

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