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Idol der Pferdeschwänze

Bei den Weltmeisterschaften der Rhythmischen Sportgymnastik strebt Magdalena Brzeska entschlossen eine Medaille an  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Den Vergleich mit Astrid Kumbernuss kann Magdalena Brzeska überhaupt nicht leiden. Nicht, weil die Kugelstoßerin das Doppelte an Statur zu bieten hat oder den Eisentrumm ungefähr so weit zu wuchten vermag wie Brzeska den Gymnastikball wirft. Vielmehr geht es um das fortwährende Lamento, daß Kumbernuss ständig Olympia und WM gewinnt, aber damit kaum Geld verdient, Magdalena Brzeska hingegen Millionen scheffelt, aber nie gewinnt.

Um ein solches Kunststück zu vollbringen, müssen einige Dinge zusammenpassen. Im Falle der 19jährigen Brzeska gehört dazu vor allem ein cleverer Manager (Klaus Kärcher), der schon frühzeitig wohlfotografierte, schweißfreie Porträts seiner Mandantin in die Öffentlichkeit lancierte – solange, bis die ersten zahlungskräftigen Sponsoren anbissen, die seither in so großer Zahl an die Tür klopfen, daß es sich das florierende Unternehmen Brzeska erlauben kann, einigen selbige zu weisen. Es gehört dazu ein apartes Äußeres, die Fähigkeit, sich ansprechend in der Öffentlichkeit zu präsentieren, in diversen Talkshows wohlgesetzte Worte zu äußern, und im Falle der Gymnastin auch die Bereitschaft, seine Stimme zu musikalischen Zwecken einzusetzen und auf CD bannen zu lassen. Des weiteren gehört dazu eine Sportart, in der es kein Makel ist, nicht zu gewinnen.

Davon gibt es nicht viele in einem Land, das jeden Sprinter, der im olympischen Vorlauf ausscheidet, hemmungslos als lahme Ente verspottet. Der Ski-Langlauf gehört dazu, bei dem ein Platz unter den ersten Zehn euphorisch gefeiert wird, und eben die Rhythmische Sportgymnastik, eine telegene und publikumsmagnetische Sportart, bei der allgemein anerkannt ist, daß die jungen Damen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion oder aus Bulgarien ohnehin nicht zu schlagen sind.

Dabei fällt leicht unter den Tisch, daß Magdalena Brzeska durchaus eine Gymnastin der Weltklasse ist, was sie derzeit nach 13monatiger Verletzungspause bei den Weltmeisterschaften in Berlin unter Beweis stellt. „Ich bin noch zu dick“, hatte sie vor der WM leicht beschämt geäußert, eine Einschätzung, die zunächst absurd erscheint, aber an Wahrheitsgehalt gewinnt, wenn sie sich inmitten ihrer Kolleginnen auf den Wettkampf vorbereitet. Gravitätisch schreitet sie zwischen den handtuchschmalen und federleichten 15jährigen einher und handhabt dann die tückischen Geräte wie Keulen, Seil, Band oder Ring mit deutlich mehr Grazie als diese. Ihre Biegsamkeit mögen die zusätzlichen Pfunde möglicherweise beeinträchtigen, der künstlerischen Gestaltung ihrer Darbietung kommen sie zugute.

Um diese zuschauerfreundliche Facette der Rhythmischen Sportgymnastik aufzuwerten, hat der Verband einen neuen Bewertungscode erlassen, welcher Ausdruck, Musikalität und Anmut größereres Gewicht verleiht. Früher, sagt Bundestrainerin Regina Brzank, habe es sich eher um eine „Sprung- und Hüpfgymnastik gehandelt“, die neue Regelung begünstige hingegen „die fraulicheren Typen“. Zum Beispiel Magdalena Brzeska, obwohl diese eher skeptisch ist. „Ich glaube nicht, daß die Kampfrichter jetzt darauf achten, ob jemand mehr lacht“, lästert sie. Tatsache ist, daß in der Qualifikation tatsächlich die „fraulicheren Typen“, also die Altersgenossinnen von Brzeska, dominierten: Weltmeisterin Natalja Lipkowskaja (Rußland) oder Elena Witrischenko (Ukraine) zum Beispiel.

Selbst vor heimischer Kulisse wird es ein hartes Stück Arbeit sein, endlich ihre erste Medaille bei einer großen internationalen Meisterschaft zu gewinnen. Doch auch, wenn daraus nichts wird, ihren Status als Heldin hat Magdalena Brzeska sicher, zumindest bei den Scharen kleiner Mädchen mit Pferdeschwänzen, Dutts und Autogrammblocks, die während der Qualifikation aufgeregt duch die Halle schwirrten und über jede dünne Person in Sportkleidung herfielen wie ein Horde ausgehungerter Eichhörnchen über einen Topf mit Nüssen. Wenn sich das Getrappel irgendwo zur Stampede auswuchs, konnte man sicher sein, daß Magdalena Brzeska gesichtet worden war. „Sie hat einiges für unseren Sport bewirkt“, sagt Regina Brzank, „es kommen viele Muttis mit ihren Mädchen.“

Ob sie weitermacht nach dieser WM, ist offen und hängt vor allem vom arthrosegeplagten Fuß ab. „Es könnte sein, daß dies mein letzter Wettkampf ist“, sagt sie. Ihre kleinen Fans mit den Pferdeschwänzen wären untröstlich.

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