Analyse: Hoffnung für Kohl
■ Aber der Konjunkturbericht der Wirtschaftsinstitute enttäuscht
Die Wirtschaft wächst stärker als erwartet, die Zahl der Erwerbstätigen sinkt trotzdem stärker als befürchtet. So wird das Fazit der heute vorgestellten Herbstgutachten der großen Wirtschaftsforschungsinstitute lauten. Hatten die Experten zu Beginn des Jahres das Wachstum in Deutschland auf 2,25 Prozent für 1997 und 2,75 Prozent für nächstes Jahr geschätzt, so korrigieren sie sich nun auf 2,4 und 2,8 Prozent. Die Zahl derjenigen, die offiziell arbeiten, wird jedoch in diesem Jahr um 1,3 Prozent sinken statt, wie im Frühjahr prognostiziert, um 1,0 Prozent, schätzen die Volkswirte.
Wie hoch der Aufschwung nun genau ausfallen mag – bei den Arbeitslosenzahlen dürfte also erst eimal die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer recht behalten. Sie korrigiert ihre Schätzungen für den nächsten Februar derzeit ständig zum Schlechteren. Laut einem Interview vom Wochenende rechnet Engelen-Kefer dann mit etwa 5 Millionen Erwerbslosen. Der Februar ist traditionell der Monat mit den höchsten Arbeitslosenzahlen. Laut den neuesten Zahlen vom September sind 4,31 Millionen bei der Bundesanstalt für Arbeit gemeldet. Letzten Februar waren es 4,67 Millionen, eine Quote von 12,2 Prozent.
Auch wenn die Experten nun ein höheres Wachstum für möglich halten als im Frühjahr, liegen sie noch unter den Schätzungen der Bundesregierung. Der Bundeskanzler und sein Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) rechnen derzeit mit 2,8 in diesem und 3 Prozent Wachstum im nächsten Jahr. Rexrodt sieht die deutsche Wirtschaft möglicherweise gar am Anfang einer 10 Jahre währenden Aufschwungphase.
Die Frage bleibt, warum keine Arbeitsplätze geschaffen werden – trotz Konjunkturbelebung und seit Monaten stark anziehender Firmeninvestitionen in neue Maschinen. Arne Heise, Konjunkturforscher am gewerkschaftseigenen WSI- Institut in Düsseldorf, sieht einen Grund im Mißtrauen der Firmenchefs. Weil seit Anfang der 90er Jahre die Wirtschaft wie bei einem Waschbrett zwischen kleinen Auf- und Abschwüngen hin- und herpendelt, lasten sie demnach zunächst die laufenden Anlagen im Schnitt stärker aus als üblich, bevor sie in neue Arbeitsplätze investieren.
Die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland kann laut Heise nicht als Ursache für die Misere auf dem Arbeitsmarkt herhalten. Schließlich würden noch immer etwa 95 Prozent aller Investitionen der deutschen Unternehmen ins Inland fließen – Globalisierung hin oder her.
Obwohl die Konjunktur bislang nichts für die Arbeitslosen bringt, kann es aber noch zum berühmt-berüchtigten Kohl-Effekt kommen: Die Wirtschaft glaubt im Winter und im Frühjahr doch an einen nachhaltigen Konjunkturaufschwung und investiert weiter. Das wirkt sich mit Verzögerung auf die Arbeitslosenzahlen aus. Pünktlich zum Bundestagswahlkampf im nächsten Sommer präsentiert die Bundesregierung dann eine sinkende Arbeitslosenquote. Und gleicht das Manko eines abgearbeiteten Kanzlerkandidaten mehr als aus. Reiner Metzger
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