: Freiheitslieder am Klavier
Gartenparties, Festmahle, Kreuzfahrten: So ist Griechenland. Auch Kultur kann sehr schön sein: Erst stellt man sich vor, dann trottelt man mit neuen Bekannten durch die Gegend, alles weltgewandte Menschen. Beim Literatursymposium in Athen tummelte sich auch ■ Detlef Kuhlbrodt
Manchmal ist das Leben sehr angenehm. Gerade war man noch zu Haus im Berliner Herbst, schon sitzt man spätnachts in einem schicken Athener Hotelzimmer, trinkt Amstel-Bier aus der Minibar und switcht durch die Programme. Dort haben die einen nackten Polizisten an einen Baum gebunden. Na sowas.
Das „National Book Centre of Greece“, sozusagen der Börsenverein der griechischen Buchhandels, hatte zu einer Tagung über „Greek contemporary literature – an exotic neighbour or a familiar alien“ geladen, um ein bißchen für die griechische Gegenwartsliteratur zu werben, die Problemata kleiner Literaturen zu erörtern und gastfreundlich auf den Frankfurter Buchmesse-Länderschwerpunkt des Jahres 2002 einzustimmen.
Etwa 55 Verleger, Lektoren und Literaturkritiker aus England, Frankreich, Italien und Deutschland waren gekommen; alles war irgendwie seltsam und prima und schwankte sehr angenehm zwischen mondänen Gartenparties, tollen Festmahlen und einer Kreuzfahrt, auf der drei adrette Inseln an einem Tag abgeklappert wurden.
Kultur kann so schön sein! Erst stellt man sich vor, dann trottelt man mit neuen Bekannten durch die Gegend. Weltgewandte Menschen zeigen einem ihr Athen. Nachmittags sprechen wir über Michael Köhlmeiers Roman „Kalypso“. Im Literarischen Quartett sei Marcel Reich-Ranicki dagegen gewesen, sagt Andreas Schäfer von der Berliner Zeitung. Uwe Wandrey, ein freundlich weltgewandter 68er Publizist aus Hamburg, der seit mehr als zehn Jahren in Griechenland zwischenlagert, ist auch dagegen. Er schreibt gerade an einem Roman, der von Bordellen und Geruchsarchivaren handelt. Später erzählt Wandrey 68er- Geschichten, in denen es um einen „Eiffe“ geht, der damals seinen Namen an alle Hamburger Wände geschrieben hätte. Irgendwann hätte der seinen Wagen auf einer belebten Kreuzung in St. Pauli stehenlassen und sei dann ins Bordell gegangen. Später sei er dann entmündigt worden, so Wandrey.
Das Töchterchen heißt Penelope
Abends, am Fuße der Akropolis zwischen streunenden Katzen, sprechen Bärbel Flath, Lektorin bei „Kiepenheuer & Witsch“ und Dirk Hofer von „Lettre“ angeregt über Hardware, wie man so sagt. Brussig hätte mit seinem komischen Roman „mindestens“ eine halbe Million verdient, der Autor von „Schlafes Bruder“ gar das Doppelte. Daß Carmen Thomas' Urinseller in Deutschland 1 Million Mal verkauft wurde, fand man degoutant. Erwähnt wurde außerdem, daß Ex-taz-Chef Arno Widmann seit Monaten auf einer geschmackvollen griechischen Insel an einem Roman arbeite. Auch der Philosoph Ernst Tugendhat soll hier irgendwo wohnen. Dirk Hofer trägt übrigens ein modisches Kinnbärtchen und findet Griechenland dufte. Deshalb hat er sein kleines Töchterchen „Penelope“ genannt.
Athen verhält sich zu Berlin wie Berlin zu München. Die mit tausend Postkarten, Zeitungen, Zeitschriften und pornographischen Magazinen in allen Sprachen geschmückten Kioske an allen Ecken sehen aus wie Weihnachtsbäume. Ununterbrochen lärmen und hupen die drei Millionen Autos der 4,5 Millionen Einwohner im vielgerühmten ägäischen Licht. Begleitet vom Trillerpfeifen der Polizisten. Mopeds und Vespas sind auch dabei.
Die Griechen rauchen auch ständig. Soviel wie niemand sonst in Europa. In Kostas Karaoulis' spannendem Roman „Die Finsternis“, in dem es um einen griechischen Gastarbeiter geht, der von deutschen Neonazis ermordet wird, fürchtet sich der übermüdete Held vor dem „Tod durch unaufhörliches Rauchen“ und ermahnt sich: „Rauche nicht soviel. Zünde nicht noch eine Zigarette an.“
Im besten Viertel der Stadt, im luxuriösen Hauptquartier des National Book Centres, gibt es eine „Garden Party“. Alles ist marmorschickweiß und geometrisch. Wolfsähnliche Hunde schützen die Villa vor den Zumutungen der Stadt, auf die man von hier sehr schön herabschauen kann. Paar Straßen weiter wohnt Papandreou. Um die Stimmung zu heben, gibt es später einen besonders schönen Sonnenuntergang.
„Mimi“ Papandreous Buch über ihre Ehe mit dem ehemaligen griechischen Präsidenten erscheint dieser Tage und wird jetzt schon aufgeregt diskutiert. Rachsüchtige Gegner des skandalträchtigen Werkes haben angekündigt, Nacktfotos von „Mimi“ im Internet zu veröffentlichen.
Die meisten Menschen täten das Leben konsumieren und machten sich keinen Kopf, hatte der Präsident des National Book Centres in seiner Rede bedauert. Auch die in Athen lebende Schriftstellerin Evgenia Fakinou klagt darüber, daß es ihren Landsleuten nur darum gehe, westliche Lebensstile zu kopieren. Alles werde immer schlechter, betonte sie und fragte dann, ob sie uns Nikos Papandreou, den Sohn also, vorstellen dürfe? – Da sprach man doch lieber mit Autoren, deren Texte man nicht kennt. Komisch. Für die vermutlich auch.
Eine junge griechische Autorin schwärmt von Deutschland. Erinnere sie an Japan. Eine ältere Autorin, die unter deutscher Besatzung aufwuchs, entschuldigt sich dafür, daß sie nie nach Deutschland fahren würde. Kollege Schäfer verliebt sich in eine schöne junge Frau, ist allerdings zu schüchtern, sie anzusprechen. Eine lustige, junge Verlegerin aus Frankreich hat sich das Namensschild eines Londoner Verlegers angeheftet.
Ganz Europa ist drogenverseucht
10 Literaturredakteure sind bei Le Monde angestellt. Darüber, daß die griechische Lyrik hervorragend ist, ist man sich einig. Zum Beispiel der Lyriker Konstantinos Kavafis, dessen Gesamtwerk gerade auf deutsch erschienen ist. Viele Griechen können Gedichte auswendig. Am Ende des Abends stellen sich fünf griechische Dichterinnen ans Klavier und singen schöne Freiheitslieder von Mikis Theodorakis. Ein Mann steht auch dabei. Ein bißchen angeheitert ist man gern auf Journalistenverschickungen. Danach bekommt jeder einen „Diskos“ mit einem Zertifikat, das bestätigt, daß es sich um eine Nachbildung handelt.
Im Fahrstuhl behauptet ein Grieche, der einen lustigen Anzug trägt, die Amerikaner seien an allem schuld. Ganz Europa hätten sie mit Drogen verseucht. Der Sage nach schenkte die griechische Erdmutter Demeter der Menschheit den Schlafmohn in der westlich von Korinth gelegenen Stadt Mekone. Uwe Wandrey berichtet, daß es an der albanischen Grenze gerade Schießereien wegen Haschisch gäbe.
Am letzten Tag gab es Vorträge. Sowohl als auch, einerseits und andererseits. Wie kann die kleine griechische Gegenwartsliteratur ihren Weg zum ausländischen Leser finden, der immer nur an naturwüchsig wilde Alexis Sorbasse denkt, wenn er Griechenland hört? Oder an früher, wie der sympathische Frankfurter-Buchmesse-Chef Weidhaas, der viel vom Geben und Nehmen sprach und davon, daß die moderne Persönlichkeit in der frühgriechischen Literatur geboren wurde, und noch das „kulturelle Staffelholz“ erwähnte, das es gelte weiterzutragen.
Der Übersetzer Demosthenes Kourtovik warnte vor der Gefahr der Neofolklore und nationalem Provinzialismus. Andere appellierten an den Staat, die Übersetzungen griechischer Literatur doch mehr zu fördern. Mindestlöhne für Übersetzer werden verlangt. Vielleicht sollte man griechische Bücher auch an den touristischen „key-places“ vertreiben.
10 griechische Bücher erschienen im letzten Jahr in Deutschland; umgekehrt stürmten 40 deutsche Bücher auf dem griechischen Markt. Auch vom „Residuum des Göttlichen“ (Dirk Hofer), das sich in der Kultur finde, war die Rede. Im Allgemeinen ist man für gute und gegen schlechte Bücher, analysiert den Betrieb und wehklagt ein bißchen. Luke Vinten vom Londoner Verlag Faber & Faber, ein smarter Kollege, dessen Kopfhörer für die Simultanübersetzungen nicht richtig funktionierten, sagte in der Kaffeepause: „I tried to look quite interestet.“
Nur Marion Boyars, eine schon etwas ältere Verlegerin, die 1962 Ken Kesey's „Einer flog über das Kuckucksnest“ für 100 Pfund gekauft hatte, die die Werke Georges Batailles für England entdeckt und allerlei Prozesse wegen der Verbreitung obszönen Schriftguts durchzustehen hatte, gab sich emphatisch. Jede Kultur sei eine Übersetzung, und jede Gesellschaft solle exotisch sein, sagte sie in ihrer enthusiastischen Rede, wunderte sich noch, daß in England vor allem Schwule Bataille lesen und erklärte, wenn sie ein Buch machen wolle, mache sie es eben. Fertig. Punkt. Aus. Dann ging sie mit ihrem Mann sich das Pantheon nochmal angucken.
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