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„Mit allem Schmerz in der Seele“

Nach der achten Rücktrittserklärung von Diego Armando Maradona (37) könnte es ein, daß die Karriere des kokainversessenen Argentiniers tatsächlich beendet ist  ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Bei dem notorischen Dazwischenplapperer Mauro Viale auf dem zweiten argentinischen Fernsehkanal machte es Diego Armando Maradona einmal mehr amtlich: „Den Fußballer Maradona wird es nicht mehr geben.“ Daß er es diesmal ernster meint als sonst, versuchte die größte südamerikanische Tageszeitung Clarin dadurch zu unterstreichen, daß sie dem 37jährigen eine 16seitige Sonderbeilage widmete. Dort dürfen Theaterregisseure, Fußballtrainer und Soziologen ihren Senf zu dem lebenden Mythos abgeben.

Seinem Vater habe er versprochen, daß er zurücktrete, wenn noch einmal seine Familie in irgendeiner Weise von den Medien beschmutzt werde. Jetzt ist es geschehen. „Ein Hurensohn“ (Maradona) hatte geschrieben, sein Vater sei gestorben, aus Kummer über den drogensüchtigen Sohn, der nach dem „Superclasico“ Boca Juniors gegen River Plate (2:1) am vergangenen Wochenende erneut Gegenstand von Dopinggerüchten war. Nach dem Spiel, bei dem er nach längerer Verletzungspause die erste Halbzeit bestritt, wurde Maradona wieder einmal gebeten, etwas Urin in einen Becher zu lassen. Reine Routine, jeder muß mal zur Dopingkontrolle. Aber wenn Maradona muß, wird laut darüber nachgedacht, ob er wohl wieder gekokst hat oder nicht. Dieses Getuschel vor dem offiziellen Ergebnis bereitet ihm Kummer.

„Mit allem Schmerz in der Seele kam jetzt der Moment, meinen Rücktritt anzukündigen“, sagte er im Radio. Dabei waren seine Anwälte nicht ganz unbeteiligt an den Gerüchten über seinen positiven Dopingtest. Am Montag abend, also zwei Tage nach dem Superclasico, präsentierten sie vor dem Arbeitsgericht eine Klage, die für ihren Mandanten ein Freibrief zum Koksen wäre und vermutlich als dreifacher Salto Mortale mit Drehung um die Längsachse in Sachen Pragraphenbiegen in die Rechtsgeschichte Argentiniens eingehen würde. Sie wollten ganz schlicht erreichen, daß Maradona im Falle einer positiven Dopingprobe nicht wie andere Spieler suspendiert werden darf. Da er krank und drogenabhängig sei, stelle dies eine Diskriminierung wegen seiner Krankheit dar. Eine Entscheidung des Richters steht noch aus.

Bisher hatten die Gerichte mit Maradona soviel Nachsicht, wie man mit einem Nationalhelden nun eben einmal hat. Nach seinem großangekündigten Comeback im Boca-Trikot im August wurde er ebenfalls zur Dopingkontrolle gebeten. Ergebnis der ersten Probe: positiv.

Die Hohepriester des gesunden Athletenkörpers waren entsetzt: Diego kokst wieder. Dabei hätten sie das schon im Januar vergangenen Jahres wissen können, als Maradona sagte: „Ich war, ich bin und werde ein Drogenabhängiger sein.“ Ergebnis der zweiten Probe: ebenfalls positiv, aber es konnte nicht einwandfrei nachgewiesen werden, daß der Urin tatsächlich von dem Spieler stammt. So befand zumindest ein Richter.

Den Fans in der Bombonera, dem Stadion von La Boca, dem stinkenden Hafenviertel in Buenos Aires, war es egal. Sie verzeihen Maradona alles. „Komme, was auch immer komme, geschehe, was auch immer geschehe, die Fans sind mit dir“, singen sie. Ihnen werden die Tränen beim nächsten Heimspiel über das Gesicht kullern, wenn ein anderer als Diego das Trikot mit der Nummer zehn trägt. „Evita, Maradona und Che Guevara sind die Größten, die Argentinien jemals hatte“, sagt ein Boca-Fan emphatisch. Der über viele Jahre hinweg beste Fußballer der Welt kam aus dem Dreck wie alle, die dort auf den billigen Plätzen sich allsonntäglich die Seele aus dem Leib singen. Er ist einer wie sie.

Viele seiner Gegner aus den besseren Klassen rümpfen daher die Nase, wenn sie von dem Neureichen hören, der nun wirklich nicht weiß, was er mit soviel Geld machen soll. Fünf Ferraris soll er habe, nein sieben, wissen die Taxifahrer der Stadt. Kürzlich fuhr er mit einem aufgemotzten 40-Tonner zum Training. Am nächsten Tag kam er mit einem neuen Ferrari. Auf dem Beifahrersitz sein umstrittener Manager Guillermo Coppola, der Mann, der es fertigbrachte, die Polizisten, die in seiner Wohnung einige Kilo Kokain fanden, hinter Schloß und Riegel zu bringen.

Maradona ist der meistgehaßte und meistgeliebte Mann in Argentinien. Aber seine Landsleute werden es ihm nie vergessen, daß er ihr Land berühmt gemacht hat und den reicheren Nationen in Sachen Fußball eine gehörige Packung Respekt eingeflößt hat.

Maradona ist ein guter Freund von Carlos Menem, trägt neuerdings Che Guevara als Tätowierung und schwärmt für den kubanischen Präsidenten Fidel Castro, der ihn schon des öfteren mit Frau und Töchtern empfangen hat. „Wenn ich zurücktrete, kann es sein, daß ich das Land verlasse“, sagte er. Wohin? „Nach Kuba, wegen Fidel“, dankte er Castro im September dieses Jahres die Gastfreundschaft. Wohin er tatsächlich geht, will er sich noch überlegen. „Ich werde den Trainerschein machen oder Sportjournalist werden“, drohte er am Donnerstag abend. Oder war vielleicht doch wieder nicht alles so gemeint? „Wichtiger als die Frage, ob er zurücktritt oder nicht, ist, ob er einhält, was er sagt“, meint die Tageszeitung Pagina 12. Und bisher hat er noch nie gehalten, was er versprochen hatte.

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