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Grüne bestehen „Elchtest“

Grüner Parteitag diskutierte über Reformprojekte für die Zeit nach der Großen Koalition – den Rechenstift immer in Griffnähe. Betriebsbedingte Kündigungen kein Tabu  ■ Von Dorothee Winden

Die Beratung des grünen Reformprogramms verglich der Grünen-Abgeordnete Bernd Köppl zum Auftakt des Parteitags am Wochenende mit dem „Elchtest“. „Wir fahren jetzt in die erste Kurve. Doch der eigentliche Test kommt nach der dritten Kurve, und da müssen wir auf den Füßen stehen und nicht auf dem Kopf,“ sagte er in Anspielung auf das neue Mercedes-Modell, das bei dem Fahrtest umgekippt war.

Köppls Vergleich zielte vor allem darauf, daß grüne Reformpolitik die desolate Finanzlage des Landes berücksichtigen müsse. Es war dann auch das eigentlich bemerkenswerte, daß die Debatte über die Reformprojekte von Realismus und Rechenkünsten geprägt war. Die Zeiten, in denen Forderungen ohne Rücksicht auf die Kosten gestellt wurden, sind vorbei. Der Kreuzberger Delegierte Sergej Gregorianoff vertrat mit seiner Position nur eine verschwindene Minderheit: „Das Kapitel zur Finanzpolitik ist die Zwangsjacke, die jegliche Reformpolitik unmöglich macht“, wetterte er.

Doch Reformen müssen nicht unbedingt Geld kosten. Die Schulen brauchen qualitative Reformen wie mehr Autonomie, nicht mehr Geld, meinte die Abgeordnete Sybille Volkholz. Auch die Kulturpolitikerin Alice Ströver sieht Möglichkeiten, die vorhandenen Mittel durch verstärkte Kooperation der Kulturbetriebe effizienter einzusetzen. Die grüne Verkehrspolitik, die statt teurer und unsinniger U-Bahn-Neubauten auf den Ausbau der Straßenbahn setzt, wäre sogar billiger.

Von Aufbruchsstimmung war an diesem Wochenende allerdings nichts zu spüren. „Wir wollen die Große Koalition ablösen“, sagte Parteisprecher Andreas Schulze in seiner Rede, doch das klang ein wenig lahm. Diszipliniert wurden die sechs Reformfelder Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, Ökologie, innere Sicherheit, Soziales, Stadtentwicklung und Finanzen abgearbeitet.

Dem teilweise mühsamen Selbstverständigungsprozeß konnte der frühere Landesvorstand Christian Ströbele dennoch etwas Gutes abgewinnen: „Es ist ein Politisierungsprozeß.“ Es sei schon lange nicht mehr vorgekommen, daß sich alle Grünen mit Themen befaßt hätten, die nicht unmittelbar in ihr Ressort fielen.

Daß aus dem Anspruch, ein „Regierungsprogramm“ zu formulieren, das bescheidener klingende „Reformprogramm“ wurde, führte Ströbele auf die Scheu zurück, zu hohe Erwartungen zu wecken. Und während sich Schatzmeister Werner Hirschmüller wünschen würde, daß die Partei aggressiver den Wechsel fordert, plädiert Parteisprecher Andreas Schulze dafür, „mit den Reformprojekten das grüne Profil zu schärfen“. Wenn von „Regierungsprogramm“ die Rede sei, lenke dies von den Inhalten ab, weil sofort die Frage auftauche, welche Koalitionspartner in Frage kommen. Die leidige PDS- Frage wollen die Grünen erst im Frühjahr 1998 klären.

Wie fit sind die Grünen für die Regierung? Die Partei, die in Berlin nur 3.200 Mitglieder hat, überflügelt gemessen daran die SPD an Reformideen und politischem Personal. Die Einsicht, daß man nur beharrlich in kleinen Reformschritten etwas verändern kann, hat sich durchgesetzt. Weder die Grünen noch die SPD würde heute wegen der Räumung von besetzten Häusern eine rot-grüne Koalition platzen zu lassen, meint Ströbele, der damals noch der Auffassung war, daß man sich die Räumung von der SPD nicht bieten lassen könne.

Auch die grüne Basis bewies am Wochenende mehr Beweglichkeit als so mancher SPD-Parteitag. Die Grünen wagten sich an das Tabu betriebsbedingter Kündigungen im öffentlichen Dienst heran. Zwar waren die BefürworterInnen von Entlassungen in der Minderheit, bemerkenswert war jedoch, daß anders als bei SPD und CDU die Nachteile und Unzulänglichkeiten eines Verzichts auf Entlassungen offen diskutiert wurden. Die frühere Charlottenburger Gesundheitsstadträtin Annette Schwarzenau gab zu bedenken, daß der Verzicht auf Kündigungen zu Lasten frisch ausgebildeter Verwaltungskräfte ginge, von denen nur wenige eingestellt werden können.

Die Grünen sehen es als Vorteil, weitaus weniger als die Sozialdemokraten auf die Klientel im öffentlichen Dienst Rücksicht nehmen zu müssen. Wer weniger Angst vor der ÖTV hat, kann auch über Alternativen nachdenken, wie der Personalüberhang abgebaut werden kann. Denkbar sei die Gründung von Beschäftigungsgesellschaften und gemeinnützigen Betriebe, die neue Aufgaben übernehmen und sich auf dem Markt behaupten.

So vage die Alternativen noch blieben, so deutlich wurde, daß dringend neue Modelle entwickelt werden müssen. Anders als das neue Mercedes-Modell aber haben die Grünen den Fahrtest bestanden. Im Januar soll die Landesdelegiertenkonferenz den endgültigen Entwurf beschließen.

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