■ Zwei Jahre nach dem Mord an Rabin: Sympathien für den Täter: Jenseits der Aussöhnung
Was vor zwei Jahren in Israel noch als undenkbar galt, erscheint heute als historische Selbstverständlichkeit: die Ermordung eines jüdischen Führers von jüdischer Hand. Der Teenager-Fanklub für Yigal Amir, den Mörder von Jitzhak Rabin, gewinnt an Mitgliedern. 23 Prozent der Jugendlichen in Israel äußern heute Verständnis für oder Zustimmung zum Mord an Rabin. Selbst solche, die den Mord nicht befürworten, glauben, daß dadurch Schlimmeres abgewendet wurde.
Und das Friedenslager ist, trotz aller Gedenkfeiern, weiterhin gespalten und gelähmt. Die religiösen Zionisten und die politische Rechte haben heute in Israel die Oberhand. Im Stadtrat von Jerusalem jubelten ihre Fraktionen, als Bürgermeister Olmert es kürzlich ablehnte, einen zentralen Platz in Jerusalem nach Rabin zu benennen. Trotz aller Aufrufe zur innerjüdischen Versöhnung, die den gestrigen Tag kennzeichneten, sind die Gräben tiefer geworden. Die Unversöhnlichkeit ist gewachsen.
Ein Umdenken ist nicht in Sicht. Nicht einmal Rabin selbst würde annehmen, daß die Hetzkampagne gegen ihn Ursache seiner Ermordung gewesen sei, schrieb Ministerpräsident Netanjahu gestern sibyllinisch in der Jerusalem Post. Es sei unverzeihlich, so Netanjahu in Anspielung auf seinen Wahlsieg, mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit einem Kainsmal zu brandmarken. Die Crux solcher Rhetorik besteht darin, daß sie auf Behauptungen antwortet, die so niemand aufgestellt hat. Und damit in den Geruch gerät, nur der eigenen Reinwaschung zu dienen. Zumal sie die Frage vermeidet, um die es geht: Hat die Hetzkampagne gegen Rabin nicht erst das Klima geschaffen, in dem der Mord möglich wurde? Als Mörder und Verräter wurde Rabin beschimpft. Einzelne Rabbiner verhängten religiöse Todesurteile gegen ihn. Netanjahu selbst nahm an einer Kundgebung teil, auf der Rabin in SS-Uniform dargestellt wurde.
Jitzhak Rabins Vermächtnis liegt heute in Trümmern. Es gibt nicht mehr nur ein Friedens-, sondern auch ein Kriegsszenario in Israel. Während „die Linke“ das Scheitern des Oslo-Prozesses der Politik von Netanjahu zuschreibt, sieht „die Rechte“ die Fehler im Oslo-Abkommen selbst. Wie immer diese politische Debatte ausgeht, fest steht: Die vermeintliche Korrektur der Politik Rabins hat Israel weder mehr Frieden noch mehr Sicherheit gebracht. Und von einer inneren Aussöhnung ist das Land weiter entfernt als noch am ersten Gedenktag der Ermordung Rabins. Georg Baltissen
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