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Von der Perle am Elbhang ins Konzentrationslager

■ Denkmalschutz für Blankeneser „Judenhaus“, 59 Jahre nach der Reichspogromnacht

Reline Bodenheimer wohnte Anfang der 40er Jahre in einer Villa am Grotiusweg 36. Sie war eine der jüdischen BewohnerInnen, die damals in dem Haus am Blankeneser Elbhang lebten, das mit „seinem Garten und Parkgelände zu den westlichsten Teilen der berühmten 'Perlenkette' von Villen und Landhäusern entlang dem nördlichen Geesthang der Elbe“gehört. So beschreibt sie das Hamburger Denkmalschutzamt in einem Gutachten und stellte die Villa im August dieses Jahres unter Denkmalschutz.

Reline Bodenheimer kommt in dem Gutachten nicht vor, die Geschichte der Villa während des Nationalsozialismus wird nur in wenigen Zeilen erwähnt. In dieser Zeit, so heißt es, diente sie „offenbar als ,Judenhaus'“. Ausführlich wird jedoch die Entstehungsgeschichte des 1905 erbauten Hauses beschrieben: Umbauarbeiten werden dokumentiert, architektonische Besonderheiten hervorgehoben. Die Villa gilt als wichtiges „Missing Link in der Kette von Landhäusern und Villen an der Elbchausee“. Insofern, so das Resümee von Manfred Fischer, dem Leiter des Denkmalamtes, „stellt das Haus ein schutzwürdiges Kulturdenkmal dar“.

Schon in den 30er Jahren bot die Villa am Grotiusweg der „Hachscharah“Unterschlupf. Dies war „eine religiös orientierte zionistische Organisation“, erklärt die Leiterin der Israelitischen Töchterschule, Erika Hirsch. „In dem Hachscharah-Heim fand eine landwirtschaftliche Ausbildung zur Vorbereitung auf eine berufliche Existenz in Palästina statt“, berichtet auch Jürgen Sielemann, Referent im Hamburger Staatsarchiv. Die Ausbildung fand in Zusammenarbeit mit anderen jüdischen Organisationen im Haus Hasenhorst in Rissen und dem Heim Wilhelmshöhe in Blankenese statt.

Ob Reline Bodenheimer schon in dieser Zeit in der Villa lebte, ist ungewiß. Nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 mußten alle „kennzeichnungspflichtigen“Jüdinnen und Juden auf Anweisung der Gestapo in „Judenhäuser“ziehen. Rund 80 „Judenhäuser“existierten damals in Hamburg. Auch die Villa am Grotiusweg, 1940 von der Stadt erworben, wurde solch ein Haus. Und für viele Menschen zum letzten Ort vor der Deportation in die Todeslager.

Zwischen 1941 und 1942 wurden nachweislich 17 Menschen aus der Villa am Grotiusweg in Konzentrationslager deportiert. Die letzte Deportation, bei der auch Reline Bodenheimer verschleppt wurde, fand am 19. Juli 1942 statt. 13 BewohnerInnen der Villa haben die Lager nicht überlebt. Reline Bodenheimer wurde am 8. Februar 1943 in Theresienstadt ermordet. Vier der ehemaligen BewohnerInnen könnten die nationalsozialistischen Greueltaten überstanden haben. Über ihren Verbleib ist wenig bekannt. Grundlegende Forschungen dazu fehlen.

Unbekannt ist deshalb auch, ob die Stadt das Haus 1940 rechtmäßig erwarb oder einfach konfiszierte. Bekannt ist aber, daß sie es unlängst verkaufte, an einen privaten Investor. Ralf Streck

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