: Kleiner, gemütlicher Tante-Pepe-Laden
■ Famose Fabulatoren, besorgte Juroren, eifrige Lektoren. Die jüngste deutsche Literatur präsentierte sich auf dem „Open Mike“-Literaturwettbewerb der Berliner LiteraturWERKstatt
Michael Roes seufzte, als er sich hinten in der Schlange anstellte, um ein Gemüsebällchen zu kaufen: Das sei ja recht schwer für ihn, hier jetzt in der Jury zu sitzen. Man wähle da ja quasi freiwillig frische Konkurrenz ins Rampenlicht. Er glaube, er werde einfach (hihi) den schlechtesten prämieren, das scheine ihm die beste Idee. Tat er dann aber nicht.
Roes, selbst erst zwei Jahre zu alt, um an diesem Jungschriftstellerwettbewerb noch teilzunehmen, aber seit seinem Großerfolg vor einem Jahr mit seinem Roman „Leeres Viertel“ in einer ganz anderen Liga spielend, saß zusammen mit Margit Schreiner, Kurt Drawert und Burkhard Spinnen in der Jury des fünften „Open Mike“-Literaturwettbewerbes in der LiteraturWERKstatt in Pankow. „Open Mike“ heißt so viel wie offenes Mikrofon, und dieses Mikrofon stand am letzten Wochenende 25 jungen deutschsprachigen SchriftstellerInnen jeweils eine Viertelstunde lang offen. 431 hatten ihre Texte eingereicht. Bedingung war, daß die Texte selbst noch unveröffentlicht waren und die höchstens 35 Jahre alten AutorInnen bislang maximal eine Buchpublikation vorzuweisen hatten. Ein Gremium aus sechs Lektoren und Literaturredakteuren wählte aus den 431 Einsendungen die 25 aus, die am Wochenende in Pankow lesen durften. Genau eine Viertelstunde lang. Dann klingelte unbarmherzig ein kleiner Küchenwecker.
So etwas wie eine „Tendenz“, eine bestimmte Richtung bei der allerjüngsten Garde der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ließ sich beim besten Willen nicht ausmachen. Oder schöner gesagt: Die Tendenz einer Tendenzlosigkeit vielleicht, einer großen Vielstimmigkeit in Form, Inhalt, Gestus, Sprache und das alles auf recht hohem Niveau. Moralisch oder zynisch, phantastisch oder äußerst real, vom 21. oder dem 17. Jahrhundert schreibend, verzweifelt oder sorgenfrei. Meist sehr solide gearbeitet, dafür oft ein wenig innovations- und mutlos in der Form. Langweilig aber beinahe nie.
„Kleiner gemütlicher Tante-Pepe-Laden“, könnte man sagen, wenn das nicht etwas zu nett und harmlos klingen würde. Vom „Pepe-Laden“ hatte Stephan Maus gelesen, der damit allerdings nicht die jüngste Gegenwartsliteratur, sondern einfach nur den Laden von Pepe gemeint hatte. Sein Roman „Hajo Löwenzahn – Eine Badewannendivertimento“, aus dem er Auszüge vorlas, ist „die Geschichte von einem, der sich auszog, um ein Bad zu nehmen“, wie es hieß, und die ist recht famos fabuliert, sehr sprachverliebt, mit unendlich vielen „visionierten Visionen“ und „lobenswerten Landschaftsbildern“, die Phantasiewelt eines Dichters in der Badewanne. Sehr lustig vor allem. Einen Preis gab's dafür leider nicht. Dafür hat Maus aber seinen ersten Vertrag schon in der Tasche. Im Frühjahr bei Rotbuch wird man es lesen können.
Andere lasen von ihrer Kindheit in der Kommune 1 („Ich wurde auf einem eilig herbeigeholten Ho-Chi-Minh-Plakat in eine Welt des Mutes, des Kampfes und des Glücks geboren“), von Cyberwesen und dem Durst eines Bauern aus dem Jahre 1624. Martin Kleins Erzählung „Herthas Aufstieg – Thorstens Tod“, die ich leider verpaßt hatte, muß auch sehr schön gewesen sein, so wie sie mir der Autor dann später nacherzählte, klang sie jedenfalls sehr hörenswert. Und er versicherte auch, daß er in diesem Text nicht nur den Aufstieg Herthas, sondern sogar den 2:0-Sieg damals gegen Kaiserslautern exakt vorhergesagt hätte. Klein bekam auch keinen Preis. Leider. Aber die Jury meinte am Ende, er habe fast einen bekommen, man habe „mit seinem Text gerungen“. Na, bringt nicht viel.
Einen echten Preis (3 mal 3.000 Mark gab's zu gewinnen) erhielt dafür Björn Kuhligk aus Berlin, der Gedichte vorgelesen hatte, die Titel trugen wie „Werteverlust, verkeimter“, „Nervenquerschnitt“ und „Apokalyptiker II“. Sein Lektor meinte, sie sezierten „die graue Wirklichkeit, blieben aber dennoch ermutigend“. Die Gedichte waren besser, als man da befürchten mußte.
Robby Dannenberg aus Leipzig bekam für seine zwei sehr schön beobachteten, ruhigen, melancholischen Erzählungen auch einen Preis. Bei der Bekanntgabe war er dann aber schon abgereist, weil er „den Preis sowieso nicht kriegt“, wie er meinte.
Und dann gab es ja noch fast so etwas wie einen Star der beiden Lesetage: Terzia Kriedemann, in Budapest geborene und jetzt in Berlin wohnende Jungautorin, die sonst eigentlich Drehbücher schreibt, las ihre Erzählung „Durst“. Eine Erzählung über eine Kindheit unter Alkoholikern, über den Alptraum einer Kindheit also, und schon während Kriedemann ihre außerordentlich intensive, scharf, präzise und unerhört mitleidlos geschriebene Erzählung las, war wohl fast jedem Zuhörer klar, daß hier die erste Preisträgerin zu hören sein würde. Sie wurde dann auch gleich umringt von Gratulanten und eifrigen Lektoren, die mit Verträgen wedelten. Doch der Rowohlt-Lektor, der sie ausgewählt hatte, wich kaum von ihrer Seite. Und als sie am Ende dann tatsächlich den ersten Preis bekam, saß er neben ihr wie ein Eiskunstlauftrainer, umarmte sie und meinte nur: „Siehst du, was hab' ich dir gesagt.“ Er hatte es schon vorher gewußt, so wie alle anderen auch.
Also: Michael Roes hat ja dann doch die wohl besten gewählt und muß sich nun also ernsthaft Sorgen machen, was er sich da an Konkurrenz so „auf den Markt gewählt“ hat. Schlecht für ihn. Gut für uns. Volker Weidermann
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