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Gnadengesuchlos

■ Kurde abgeschoben, ohne das Votum des Petitionsausschusses abzuwarten

Obwohl er eine Petition beim Eingabenausschuß der Bürgerschaft eingereicht hatte, wurde der Kurde Erdogan Koc gestern abgeschoben. Denn sein Gnadengesuch, so Verwaltungsrichter Ramcke, diene nur dazu, sich „der bestehenden Ausreisepflicht zu entziehen“. Das ist eigentlich ein durchaus legitimes Interesse, wenn der Flüchtling Gründe hat, im Land zu bleiben. Über deren Berechtigung hat dann aber der Petitionsausschuß und nicht das Verwaltungsgericht zu urteilen. „Dieser Richter maßt sich an, Dinge zu entscheiden, die nicht seiner Kompetenz unterstehen“schimpft Rechtsanwalt Ernst Medecke. Er stellte Strafantrag gegen Ramcke wegen Rechtsbeugung.

Normalerweise verhindert das Einreichen einer Petition, daß ein abschiebebedrohter Flüchtling vor der Entscheidung außer Landes gebracht wird. Indem er dies ignorierte schloß Verwaltungsrichter Ramcke eine Geschichte ab, die ohnehin von einem Vorgehen der Ausländerbehörde am Rande der Rechtsstaatlichkeit geprägt war.

Seit zwei Jahren war Koc ausreisepflichtig. Zwar ist er mit einer deutschen Frau verheiratet. Die jedoch ist über 20 Jahre älter als der Kurde. Für die Ausländerbehörde Grund genug, eine Scheinehe zu unterstellen und ein Aufenthaltsrecht zu versagen. Das war 1995. Koc legte Klage ein. Vergangenen Freitag hatte der Kurde eine Anhörung vor dem Verwaltungsgericht. Noch im Gerichtssaal nahmen ihn Beamte der Ausländerbehörde fest und steckten ihn in Abschiebehaft. Auf Betreiben seines neuen Anwalts Medecke veranlaßte eine Richterin noch am selben Tag seine Freilassung. Koc habe signalisiert, sich freiwillig der Abschiebung zu stellen, argumentierte sie und verpflichtete ihn, am Montag die Ausländerbehörde aufzusuchen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Das tat er denn auch gestern. Und wurde umgehend in die Türkei abgeschoben. Elke Spanner

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