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■ Prima Käse aus Wuppertal: Ein ungewöhnlicher Autodidakt läßt seine Belegschaft zum Euter. 55.000 Liter gab die Herde im vergangenen Jahr in seine MelkmaschinenZiege ohne Duftmarke

Ziegenkäse, das klingt nach Lavendel und Provence, nach abgelegenen Höfen und französischer Sonne. Von wegen: Georg Quinke produziert ihn in Wuppertal-Schwelm. Seine Käschen haben Karriere gemacht, selbst Gorbatschow hat schon davon genascht. Die taz hat die Käserei im Bergischen Land besucht.

Der Bauer sieht aus wie ein Chirurg. Polohemd, Hose, Schuhwerk, alles blütenweiß. Klinische Sauberkeit gehört für Georg Quinke zum Käsemachen wie der Zopf zu Karl Lagerfeld. Fehlen nur noch Mundschutz und Gummihandschuhe, wenn er seine Belegschaft zum Euter läßt. Und noch etwas fällt sofort auf: Nirgendwo stinkt's wie Bock.

Quinke kennt die Reaktionen seiner Gäste. Wie sie sich mit weit geöffneten Nasenflügeln dem Anwesen nähern, schnuppernd den Laden betreten. Wie sie jeden Moment damit rechnen, vom ziegentypisch beißenden Hautgout den Knockout versetzt zu bekommen. Nichts davon. Nur einmal im Jahr verlangt die Natur ihr Recht. Zur Paarungszeit braucht Madame Ziege, um sexuell in die richtige Stimmung zu kommen, die Duftmarke des Bocks – sonst rührt sich bei ihr nichts. Dann pinkeln sich die Herren übers Fell, „das ist für Ziegen wie Chanel No. 5“, so Quinke.

Das Resultat des kurzzeitigen Müffelns kann sich sehen lassen. Gut 250 Lämmer bringen die 120 Ziegen des Bergischen Hofs in jedem Frühjahr zur Welt. Die braucht's, denn ohne Lamm kommt keine Milch. Die fließt nun reichlich. 55.000 Liter hat die Herde vergangenes Jahr in die Melkmaschinen gegeben. 80 Prozent davon werden zu Käse verwandelt. Der Rest ist Trinkmilch und Yoghurt. Drei Viertel der Ware wird im eigenen Hofladen verkauft. Feinschmecker kommen hierher und Allergiker, die nichts von der Kuh vertragen. Neben Milch und Käse gibt's Ziegenwurst und Zickleinfleisch.

Wie aber, zum Teufel, kommt einer auf die Idee, ausgerechnet in Schwelm, zwischen Wuppertal und Hagen, Ziegenkäse herzustellen? Provencalische Träume, mediterrane Sehnsüchte? Viel einfacher: Es begann mit einem achtbeinigen Geschenk zu Quinkes dreißigstem Geburtstag: zwei Ziegen. Bis dahin hatte er sich nur mit großen Tieren beschäftigt. Im Hausflur zeugt das gerahmte Zertifikat „Pferdewirtschaftsmeister“ von seiner ersten großen Liebe. Arabische Vollblüter hat er gezüchtet, 20 sind von dieser Passion übriggeblieben. Doch mit Pferden ist heute wenig zu verdienen. Jetzt sind die zwölf Hektar Land optimal genutzt: „Die Ziege frißt, was die Pferde stehen lassen.“

In Quinkes guter Stube liegt mundgerecht gewürfelt Schnittkäse in vier Altersstufen auf dem Teller, dazu Camembert und eingelegte Frischkäsekugeln. Bissen für Bissen wird klar, warum dieser quirlige Autodidakt inzwischen die Topgastronomie beliefert, bis ins Gästehaus der Bundesregierung. Nebenbei läßt er fallen: „Als Gorbatschow da war, bekam er vier Monate alten Ziegenkäse serviert, gratiniert mit Pfeffercroutons.“ Auch der Bundespresseball wird beliefert.

Das Gesellenstück als Käser war der Auftritt vor der „Petersburger Runde“, ein kulinarischer Zusammenschluß im Raum Köln-Bonn. Neun Köche saßen zu Gericht und probierten Quinkes Produkte in aller Ausführlichkeit. Und der Meister saß mit flatternder Hose daneben. „Das war ein Ereignis“, sagt der Sohn eines Pharmazeuten noch heute.

Sahnig und fein schmecken die jungen Käse, ohne aufdringliche Schärfe; der ein Jahr gereifte probiert sich wie ein Parmesan mit leichter Süße. Mineralische Kristalle krachen zwischen den Zähnen. Und der ganz alte? Nichts zum Sattessen: „Da muß man drauf rumlutschen, eine schöne Frau im Arm, ein offener Kamin, ein gutes Glas Wein, dann ist das ein Gedicht.“ Wer seine Geschmacksnerven auf französischen Käse geeicht hat, wird überrascht sein. Vor allem Quinkes reifere Exemplare haben eine leichte Karamelnote. Die eingelegten Weichkäse allerdings könnten auch von der Rhône stammen. Sie haben uns am besten geschmeckt.

Nicht auszudenken, wie gut der Stoff wäre, wenn der Meister Rohmilch verwenden würde. Doch davon will er nichts wissen, zu riskant ist ihm der unpasteurisierte Rohstoff. Da geht wieder der Hygieniker mit ihm durch, der sich mit einem Bein im Gefängnis sieht, wenn der Kundschaft was passiert. Schade eigentlich, es gibt kaum noch deutschen Rohmilchkäse.

Am Anfang war nur Müll. Bücher hat Quinke gelesen, Lehrgänge gemacht, und trotzdem gingen die ersten Käse über die Wupper. Jetzt weiß er, worauf es ankommt: „Das fängt beim Futter und bei der Tierhaltung an.“ Keine konservierte Silage, sondern reines Getreide, Gras und Heu fressen die Ziegen. Und genügend Platz haben sie in ihrem großen Stall mit Gruppenhaltung und einem goldenen Strohteppich. Die gewonnene Milch wird schonend verarbeitet, sachte verrührt. Statt Gentech wird nur Kälberlab zur Fermentation verwendet.

Der Ziegenhof mag sich für Besucher idyllisch ausnehmen. Für den Käser heißt das Zwölfstundenmaloche rund ums Jahr, zweimal täglich melken, 200 Liter Milch frisch verarbeiten. „Das ist nicht schönes Wetter und Ziegen streicheln.“ Vergeblich hat Quinke per Inserat einen Helfer gesucht. Er findet niemanden. Deshalb hat sich der Alleskönner seinen Gehilfen selbst gebastelt. Ein Kilometer Kabel sind in einem Schaltschrank für die automatische Milchaufbereitung verlegt. Temperaturkontrolle und Rühren, Dokumentation der Kühlkurve für die Lebensmittelaufsicht – alles elektronisch gesteuert. Der große Rest ist Handarbeit: schneiden, formen, waschen, wenden, würzen – „jeden Käse habe ich hundert Mal in der Hand.“

Wenn der Morgenmuffel in schwachen Momenten dennoch findet, er habe „den größten Scheißjob“, spätestens beim Anblick seiner Toggenburger gerät er ins Schwärmen: „Diese Gesichtsmaske, das ist die schönste Rasse, bildschön.“ Nur die will er weiterzüchten, die bunte und weiße Edelziege aussortieren, auch wenn die in der Milchleistung besser ist. Da kommt ihm die Sentimentalität seiner Kunden entgegen, die bei soviel wohlriechender Anmut gerne etwas mehr bezahlt, zumal die Kinder „Ziegen gucken“ dürfen.

Von sentimentalen Anflügen ist Georg Quinke selbst nicht frei. Das Schlachten überläßt er lieber dem Metzger. Er hat ja jedes Zicklein eigenhändig an den Schnuller gewöhnt, „nee, den Hals umdrehen kann ich denen nicht.“ Ein halbes Jahr alt dürfen die Wuppertaler Lämmer werden, so früh wie in Frankreich mag er sie nicht ins Schlachthaus führen. Einen hübschen achteckigen Stall mit Kuppel und freiem Blick über das Bergische Land hat er dem Nachwuchs gebaut, Rollos als Windschutz inbegriffen.

Jetzt hat der umtriebige Schaffer schon wieder neue Träume: Mozzarella! Büffelkäse aus Wuppertal? Fehlt nur noch, daß ihm jemand zwei Büffel schenkt. Im April hat er wieder Geburtstag. Harry Konopke & Manfred Kriener

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