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Szenen wie aus Zeiten der Intifada

Am fünfzigsten Jahrestag des UN-Beschlusses zur Teilung Palästinas liefern sich im Westjordanland palästinensische Jugendliche Straßenschlachten mit israelischen Soldaten. Siedler demonstrieren gegen Netanjahu  ■ Aus Bethlehem Georg Baltissen

Ein israelischer Soldat liegt flach auf dem Straßenpflaster, das Gewehr im Anschlag. Er zielt lange und genau. Vor der Mädchenschule an der Hauptstraße von Bethlehem nach Jerusalem, rund dreihundert Meter entfernt, steht ein halbes Dutzend palästinensischer Jugendlicher, ohne jede Deckung. Schüsse krachen. Doch sie kommen aus der gegenüberliegenden Straße. Vom Dach eines zweistöckigen Gebäudes prasseln Steine herunter. Tiefgebückte Gestalten huschen auf der Dachterrasse hin und her.

40 Meter vom Haus entfernt hat sich ein Trupp von fünf israelischen Soldaten hinter einer Hauswand postiert. Sobald sich einer der Steinewerfer aus der Deckung wagt, schießen sie. Einer der Soldaten fordert die palästinensischen Jugendlichen mit einer provozierenden Handbewegung heraus. Prompt taucht ein Vermummter an der gegenüberliegenden Häuserecke auf. Ein Stein fliegt, ein Schuß knallt, doch beide verfehlen ihr Ziel.

In den kurzen Kampfpausen jagen Ambulanzwagen durch die steinübersäte Straße. Mehr als drei Dutzend Palästinenser werden an diesem Samstagmittag von den gummiumhüllten Stahlgeschossen verletzt, einer durch Kopfschuß. Die Kugeln hinterlassen tiefe, klaffende Fleischwunden. Auch fünf israelische Soldaten tragen leichte Verletzungen davon. Nach mehrstündigen Auseinandersetzungen gelingt es palästinensischen Sicherheitskräften am späten Nachmittag, die Jugendlichen zum Rückzug zu bewegen. Mehrere von ihnen tragen rote Stirnbänder mit Zitaten aus dem Koran.

Aus einer friedlichen Demonstration von rund 2.000 Menschen hatten sich zuvor mehrere hundert Jugendliche abgesetzt und die israelischen Soldaten, die an Rachels Grab am Ortsrand Bethlehems stationiert sind, angegriffen. Mit Tränengasgranaten und Schüssen trieben die Soldaten die Menge zurück.

Hauptforderung der Demonstranten: Die sofortige Freilassung von Ataif Alian, einer palästinensischen Gefangenen aus Bethlehem, die sich seit 40 Tagen im Hungerstreik befindet. Die mutmaßliche Anhängerin der Islamistenorganisation Dschihad al-Islami war nach ihrer Freilassung vor sechs Wochen an einem israelischen Kontrollpunkt wieder festgenommen und in Administrativhaft gesteckt worden, sechs Monate Haft ohne Anklage und ohne Verteidigungsmöglichkeit. Nach palästinensischen Angaben befindet sie sich in kritischem Zustand. In einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Kassiber schrieb sie: „Ich habe keine Wahl. Entweder die Freiheit oder der Märtyrertod.“

Am 50. Jahrestag des UN-Beschlusses, Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu teilen, demonstrierten am Samstag auch mehrere tausend Palästinenser in Ramallah, Hebron und Nablus. In Nablus verbrannten Studenten israelische und US- amerikanische Fahnen und sprengten die Attrappe einer israelischen Siedlung in die Luft. An der Demonstration nahmen auch Hamas-Anhänger mit grünen Gesichtsmasken teil. Der Protest richtete sich auch gegen den von Israel angebotenen minimalen Teilrückzug aus dem Westjordanland. Sechs bis acht Prozent des Gebietes will Regierungschef Benjamin Netanjahu den Palästinensern überlassen, die Palästinenser fordern 90 Prozent. „Früher oder später werden wir zwei Staaten haben“, sagt trotzig ein Student: „So kann es nicht weitergehen.“

Während in den Straßen Tel Avivs zehntausend Menschen den Teilungsbeschluß der Vereinten Nationen, der Israels Staatsgründung vorausging, feierten, demonstrierten am Samstag abend rund 500 Siedler und rechtsgerichtete Politiker vor Netanjahus Residenz in Jerusalem. Sie forderten ihn auf, kein weiteres „jüdisches Land“ preiszugeben und den Siedlungsbau zu forcieren. „Wenn Netanjahu nachgibt, werden wir alles tun, um ihn zu stürzen“, sagte eine junge Frau. Die Demonstration war vom Rat der jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten organisiert.

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