: Der gläserne Tourismus
Marktforschung wird im Tourismus groß geschrieben. Doch nicht alles, was der Forscher an neuen Bedürfnissen aushorcht, macht der Veranstalter wahr: Er setzt auf sicheren Profit statt auf den Öko-Trip ■ Von Christel Burghoff
Man muß Statistiken nicht lieben, um sie praktisch zu finden. Sagen sie uns doch alles mögliche: zum Beispiel über die Bedeutung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor und seinen Siegeszug über alle Grenzen hinweg. Wir können herauslesen, wo und wie diese Industrie aktiv ist und wer die Gewinner und Verlierer im Profitroulette sind. Und mögen die Trendforscher frisch den Kaffeesatz rühren, aus dem sie die künftigen Entwicklungen deuten – die Zahlen lügen nicht.
Unlängst diskutierten die Deutsche Gesellschaft für Tourismuswirtschaft (DGT) und die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (F.U.R) auf einem Forschungsforum in Frankfurt am Main. Thema: die Schwierigkeiten verläßlicher Ergebnisse bei konkurrierenden Methoden und die Frage, ob und wie sich die Auftraggeber in der Tourismusindustrie damit zufriedenstellen lassen. Und man erfährt, daß die Auftraggeber Schwierigkeiten machen können. Sie haben Akzeptanzprobleme: Das riesige Potential für Öko-Urlaub in Dritte-Welt-Länder, das F.U.R. regelmäßig ermittelt, wird von den Tourismuskonzernen ignoriert. Dieser Markt wird nicht bedient. 40 Prozent der Fernreisenden gehören dazu. Doch die Industrie setzt auf eine andere Gruppe: jene 30 Prozent Sand- Sonne-Sex-Fetischisten. Sie werden dem neustens Hit der Branche, dem All-inclusive-Urlaub zugeführt. Die Frage steht im Raum: Nimmt die Industrie die Forscher nicht ernst? Die Antwort gab zu denken: Ob Öko oder nicht Öko hinge letztlich an Faktoren wie Preispolitik und Angebotsgestaltung, erklärte der Umweltbeauftragte eines Reisekonzerns. Und überhaupt: Die Präferenzen ökointeressierter Reisender ließen sich von den Arrangements der Industrie nicht erfassen. Der Umweltspezialist lieferte ein Beispiel gängiger „Bauchtouristik“: Man setzt auf sicheren Profit. Anders gesagt: getrunken und gegessen wird immer. Und auf pauschale Rundumversorgung versteht sich die Industrie ohnehin. Öko ade.
Dabei ist es üblich, noch jedes Fitzelchen Kundenbedürfnis in Angebotshäppchen zu übersetzen. Ob sich nun ein Land wie Österreich als Bergwelt verkaufen will oder als Fitneßfarm, ob als Sommerfrische, Skizirkus oder Öko- Gärtlein – die Marketingstrategie fußt auf Meinungen darüber, was die Urlauber wollen könnten. Auf dieses Wollen-Könnten sind die Marktforscher abonniert. Erst wenn die Kasse stimmt, dann atmen sie auf: Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Den Auftraggeber befriedigt und sich überdies als „Dolmetscher des Volkes“ qualifiziert. Man hat die richtigen Bedürfnisse erforscht. Bravo!
Die Forscher verstehen sich als Mittler zwischen dem Markt und den Unternehmen. Weil sie immer hart am menschlichen Bedürfnis dran sind, will der Münchener Psychologe Wolfgang Meyer die Marktforschung sogar als „angewandte Sozialforschung“ verstanden wissen. Man sieht sich durchaus in der Lage, „Handlungsempfehlungen für die Einführung neuer Produkte“ (Peter Aderhold, F.U.R.) abzugeben. So könnte es sein. Es gibt hierzulande die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes, die jährliche Reiseanalyse (F.U.R.), den Reisemonitor (IPK), den Tourist Scope (Infratest), es gibt Expertenbefragungen über Zukunftsentwicklungen (Delphi- Studie Fernreisen 2005), die Forschungen zum Freizeitverhalten (BAT), die Studien und Trendanalysen von Wissenschaftlern, die internationalen Erhebungen der Welttourismusorganisation (WTO), die Prognosen des World Travel and Tourism Council (WTTC), es gibt Gästebefragungen zu allem und jedem und zahllose Tests zu Images, Prospekten und... Der Tourismus ist gläsern.
Aber sagen uns Marktanalysen wirklich alles? Eine Binsenweisheit ist es, daß man nur erfährt, was man auch erfahren will. Schnelle Booms wie die Ballermann-Begeisterung waren aus keiner Reiseanalyse herauszufiltern. Und der Erfolg der All-inclusive-Angebote in armen Ländern auch nicht. Daß die Regressionsbedürfnisse der Urlauber stark sind, das wissen die Forscher. Aber wer ahnt schon, daß der Wunsch, wie bei Muttern abzuhängen, mit Fernreisegelüsten zusammengehen kann. Sie vermuten unter Fernreisenden weltoffene, aktive Menschen. Doch offenbar machen es die Touristen der Tourismusindustrie gleich und fällen auch ihre „Bauch“-Entscheidungen: Sie investieren ihre Urlaubskasse da, wo der größte Profit vermutet wird. Und sei es beim privaten Bequemlichkeitsmehrwert.
Die Stärke der Marktforscher sind die „hards facts“, nämlich die Erfassung der (Kauf-)Entscheidungen von gestern. So weiß man genau, daß und warum der Deutschlandtourismus darbt. Wegen realer Besucherrückgänge. Klar. Aber die schlechte Bettenauslastung deutscher Anbieter erklärt sich zum großen Teil aus der restriktiven Gesundheitspolitik. Die Zahlen weisen nämlich katastrophale Rückgänge im Kurbereich aus. Und sieht man sich die Angebotsentwicklung an, dann stellt sich heraus, daß vor allem in den neuen Bundesländern an der Nachfrage vorbeiinvestiert wurde. Alle Regionen setzten auf Tourismus. Nun bleiben die Betten leer. Die Forscher wissen auch, daß die Reiseintensität der Deutschen insgesamt zurückgeht. Weniger Menschen leisten sich weniger Urlaubsreisen. Dies nun schon im zweiten Jahr. Doch wie es weitergeht, das wissen sie nicht. Und niemand wird ernsthaft behaupten, daß Reisen jetzt aus der Mode gekommen ist.
Wenn die Forscher „weiche“ Daten erheben, nämlich nach Wünschen und Motiven fragen, dann öffnet sich der Zukunftshorizont ein wenig. Wünsche sind denn auch das besondere Thema, das Reiseanalysen von Anfang an begleitet und ihnen philosophischen Tiefgang verliehen hat. Denn es rührt am Eingemachten der großen tourismustheoretischen Fragen: Warum reist man, was treibt und was lockt in die große weite Welt, ist's wirklich nur der Strand oder vielleicht doch die große Utopie vom besseren Leben?
Gabriella Engelmann, Psychologin aus Hamburg, ließ für die Reiseanalyse 98 Touristen sprechen. Und zwar in einer Vergleichsstudie auf der Basis einer Erhebung von 1981. Die brachte dieselben Banalitäten wie früher hervor: Hatten die Touristen nur drei Wünsche frei, dann wünschten sie sich: schönes Wetter, gute Kontakte, gute Lebensbedingungen. Sich selbst einfach „anders erleben“, das sei die Sehnsucht, meinte die Forscherin. Und das könne man mitunter nur woanders.
Was immer auf den Markt kommt, es findet Liebhaber. 80 Prozent der Befragten sind mit dem, was sie im Urlaub machten, zufrieden. Egal, mit welcher Methode Kundenzufriedenheit gemessen wurde. Was wir daraus folgern? Die Glücksmaschinerie funktioniert, die Tourismusindustrie ist erfolgreich, und das Einverständnis mit ihren Befriedigungsangeboten ist riesig. Aber hatte daran jemand Zweifel?
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