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Das PortraitEin Aufklärer mit Sinn für Dramatik

■ Hannes Heer

Eigentlich dürfen Bürger der freien Hansestädte keine Orden annehmen. Aber erstens handelt es sich bei der Carl- von-Ossietzky-Medaille um kein huldvoll verliehenes Gehänge, sondern um eine Art republikanischer Bürgerpreis. Und zweitens ist Hannes Heer nicht gerade das, was man als Hanseaten bezeichnen könnte. Heer kommt aus der vielgebashten Generation der 68er, hat es allerdings bei den diversen Gruppen östlicher bzw. fernöstlicher Orientierung nicht lange ausgehalten. Er vereinigt zwei Eigenschaften, die auch im damaligen linken Milieu selten waren: einen genauen Blick aufs Historische und einen ausgeprägten Sinn fürs Dramatische. Beides kam ihm sehr zustatten, als er nach längeren Ausflügen in die Medienwelt schließlich bei Jan Philipp Reemtsmas Institut für Sozialforschung in Hamburg landete. Hier war er die organisierende und bewegende Kraft eines Teams, das die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945“ auf die Beine brachte, eben jenes Unternehmen, für das er jetzt die begehrte Medalille erhielt.

Obwohl das Team allerhand Materialien zutage förderte, zum Beispiel eine Vielzahl bislang unbekannter Fotografien von Wehrmachtsangehörigen, hat Hannes Heer nie den Anspruch erhoben, wissenschaftliches Neuland erschlossen zu haben. Womöglich hat er noch Wichtigeres geleistet. Er hat ein Tabu im öffentlichen Bewußtsein gebrochen, die Legende von der Unbeflecktheit der deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg. Der Nestbeschmutzer hat reichlich Kritik eingesteckt, manche bedenkenswerte, viel häufiger aber unbedenklich geäußerte. Heer bewies nicht nur wissenschaftliche Seriosität, sondern darüber hinaus gute Nerven in der publizistischen Schlammschlacht. Heer und sein Team haben etwas sehr Altmodisches und sehr Preiswürdigen zustande gebracht – sie haben aufgeklärt. Und sie taten dies, wie es sich für Aufklärer gehört, im erbitterten Streit. Die Wehrmachtsausstellung lenkt unseren Blick auf die „dünne Zivilisationsdecke“ (Heer anläßlich der Preisverteilung), auf der wir uns bewegen. Sie zeigt damit die Richtung an, in die wir denken müssen, wenn wir die politischen wie psychologischen Zwänge des Kriegshandwerks neu bedenken. Darin liegt vielleicht ihr größtes Verdienst. C.S.

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