: Im Flutlicht der Städte
BahnCard First: Durch die Privatisierung der Deutschen Bahn AG mutieren selbst die Bahnhöfe zu Shoppingzentren, während der öffentliche Raum allmählich verschwindet. Eine Ausstellung und ein Symposium in Hamburg sehen darin das Modell für die Zukunft ■ Von Jochen Becker
Bigness, so die spöttische Bemerkung des niederländischen Architekten Rem Koolhaas, sei der Gipfel der Architektur. Beim letzten Hamburger Architektursommer pries er seinen stadtteilgroßen Bahnknoten „EuraLille“, da nur mehr Großheit ein „Regime der Komplexität“ und die „geballte Intelligenz der Architektur“ mobilisieren könne. Wie man der aktuellen Ausstellung „Die Renaissance der Bahnhöfe“ in den Hamburger Deichtorhallen entnehmen kann, trumpft nun auch die privatisierte Deutsche Bahn AG (DB) auf und plant die 100 Hektar große Neu- Stadt „Stuttgart 21“. Bis zum Jahr 2030 sollen auf dem ehemaligen Gleisfeld 11.000 Einwohner und 24.000 Beschäftigte heimisch werden.
„Wir reden hier nicht über Architektur, wir reden hier über Politik.“ Gerd Kählers Vorbemerkungen zum jüngsten Hamburger Symposium über die „Privatisierung der Stadt“ richtete den Blick auf die Gewalt solcherart aus urbanen Zusammenhängen freigestellter Masterpläne. Die fortschreitende Veräußerung des Städtischen umfasse ja nicht nur Grund und Boden, sondern auch Gesundheit, Sicherheit, Mobilität oder Kultur. Für den Architekturkritiker ist Bigness eine Demontage städtischer Öffentlichkeit, wenn Architektenbüros wie städtische Baubehörden nur mehr als Zulieferbetriebe für großformatige City-Developer dienen. Raumgreifende Projekte wie das zwischenzeitlich „CentrOpolis“ getaufte Baufeld einer weit fortgeschrittenen „Neuen Mitte Oberhausen“, die Stadtneugründung „Stuttgart 21“ oder die Sport- und Freizeit- „Arena“ im Hamburger Volkspark bildeten hierbei die Anschauungsbasis.
Bezeichnend für die Öffentlichkeitsscheu der neuen Akteure – der angekündigte „Arena“-Investor tauchte gar nicht erst auf. Die Vertreter von Deuteron seien bei öffentlichen Debatten schon dreimal verprügelt worden. Statt dessen schickten sie ihren Architekten sowie den autoritär polternden Hamburger Oberbaudirektor Egbert Kossak vor. Volksparkstadion und Mehrzweckhalle sollen dank „Mantelbebauung“ und Parkdecks für 3.000 Autos Profit abwerfen. Die Stadt wird nichts dazugeben, wenn man vom kostenlosen Grundstück, den Anfahrtswegen oder einem Bahnanschluß absehen möchte. HSV-Chef Uwe Seeler diktierte die Bedingungen, denn unter 45.000 Zuschauerplätzen würde sich der für Sport, Popkonzerte und Events ausgelegte Neubau nicht rechnen.
„Durch Dreck, Schmutz, soziales Elend“ müsse man heutzutage, um seinen Zug zu erreichen. Christian Steguweit, Leiter für Konzeption und Planung bei der DB, weist deutlich den Weg einer Innenstadt unter privater Kontrolle. Die Bahn setzt seit ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft auf Klassenkampf von oben: BahnCard First. Um die „größten Übel zu beseitigen“, rät Steguweit zum „3S“-Kontrollsystem für Service, Sicherheit, Sauberkeit und führt wieder Wartesäle erster und zweiter Klasse ein. Die „Aufenthaltsqualität für Personen mit Fahrschein sichern“ bedeutet, den Rest vor die Tür zu setzen: „Randgruppen“ seien ein „gesellschaftliches Problem“, das auf sein Unternehmen abgelagert würde. Auf innerstädtische Verdrängung angesprochen, fühlte sich der für „Stuttgart 21“ zuständige Bürgermeister Matthias Hahn bezeichnenderweise nicht zuständig.
„Wenn uns nicht der Vorplatz gehört“, so Bahn-Manager Steguweit, wolle man das Umfeld den jeweiligen Städten abkaufen. Denn das „Tor zum Zug und zur Stadt“ benötige „identitätssteigernde Nutzung“, mit dem sich Bahnreisende identifizieren könnten. Gegen die Austauschbarkeit anderer Einkaufszentren setzt die Bahn mit ihren neuen Shopping-Bahnhöfen auf die „Emotionalität des Reisens“ und „Nostalgie“. In kooperativen Diskussionen mit den Kommunen sollen nicht allein die Bahnhöfe, sondern zudem „abgerutschte“ Viertel umdefiniert und aufgewertet werden. Hier zeichnet sich ein grundlegender Wechsel in der Stadtentwicklungspolitik ab, bei der auf Druck der national operierenden Bahn AG und den damit verbundenen Einkaufsketten die jeweiligen Verwaltungen mit dem Unternehmen gemeinsame Sache machen. Sollte sich Innenminister Kanther durchsetzen, wird der Bundesgrenzschutz nahtlos in den Innenstädten sowie in den Bahnhöfen „verdachtsunabhängige Kontrollen“ durchführen, während aufeinander abgestimmte private Sicherheitsdienste der Bahn, der Verkehrsbetriebe und der organisierten Geschäftsleute in den innerstädtischen Bereichen patrouillieren.
Die zuletzt vorgestellte „Neue Mitte Oberhausen“ steht Modell für eine vollkommen privatisierte Innenstadt. Wo neben dem „Heidebahnhof (Oberhausen)“ im 19. Jahrhundert ein Stahlwerk entstand, klaffte nach Schließung des Werks eine riesige Brache und riß die Kommune in drei Teile. Die zu Beginn der neunziger Jahre in die Wege geleitete Industriekonversion „Neue Mitte“ sollte als großflächiger Gewerbepark die Stadt zusammenführen, neue Arbeitsplätze schaffen und Kaufkraft binden. Denn die drei Innenstädte von Oberhausen waren schon früher leer, da die Einkaufskarawanen Richtung Essen und Düsseldorf zogen. Nun schaue der Düsseldorfer Stadtkämmerer ins Leere, amüsierte sich der planende Architekt Jürgen Ringel.
Der Verdrängungswettbewerb aller gegen alle bleibt ein Nullsummenspiel, bei dem Verlierer und Gewinner ökonomisch wie sozial neu sortiert werden. Nun fährt man zum gemütlichen Bierchen nicht mehr bis zur Düsseldorfer Altstadt, sondern schlendert nach Ladenschluß der „CentrO“-Shoppingmall auf der künstlich hochgezogenen „Promenade“ zwischen Multikplexkino und einer hier gleichfalls errichteten „Arena“. Die Neue Mitte Oberhausen sei eine Frage von „Wirtschaftsgeographie und Naturgeschichte“, witzelte der Berliner Architekturjournalist Michael Mönninger. In seiner aufs Ästhetische beschränkten Examinierung weist die Mall geradezu mustergültig urbane Dichte und Abwechslungsreichtum auf.
„Bis Griffhöhe Originalmaterial, darüber schon mal Plastik.“ Mit gesenkter Stimme und ins Leere schweifendem Blick preist Ulrich Hatzfeld vom Düsseldorfer Landesministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport den Strukturwandel des Ruhrgebietes an. Mit jeder routiniert aufgelegten Farbfolie trat er tiefer in die neuen Welten von Bigness, Illumination, Erwartungsgenuß, Kultur zur Verlängerung des Aufenthalts, Berechenbarkeit sowie Sicherheit, Kontrolle und Hausordnung ein. Der Boom von Freizeit-Großeinrichtungen (Musicaltheater, Multiplexkinos, Freizeitparks, Spaß- und Erlebnisbäder) sei so weit fortgeschritten, daß Investoren seine Landesregierung bäten, sich künftig bei der Ausweisung von Großeinrichtungen zu beschränken.
Eine Stadt entstehe in Tausenden von Einzelentscheidungen und historischen Prozessen; das CentrO wurde in wenigen Jahren in straffer Planung durchgezogen. Wie gehen wir damit um, ohne es nur zu beschreiben oder zu affimieren, fragte sich der hierfür zuständige Fachreferent. Professionell deformiert, stellt sich Hatzfeld auf die Zeit danach ein. Solche Projekte seien wohl nur mehr mit den Developern zu entwickeln, neue Regeln und Umgangsformen mit den neuen Akteuren seien zu entwickeln, wenn diese sich einer demokratischen Kontrolle entzögen.
Eine einzige „Festivalisierung der Privatisierung der Stadt“ war heute zu hören: so begann die Stadtforscherin Ingrid Breckner ihr Resümee. „Was aber mache ich mit den Faschisten in Wilhelmsburg? Hilft da ein CentrO?“ Gegen die bislang gezeigten Wirtschaftsgraphiken setzte die Moderatorin „sozialer Brennpunkte“ eine Diaserie zur Marktöffentlichkeit jenseits der Center und Parks: Der Essenskiosk auf Rädern, ein Chicagoer Gemüsemarkt unter dem Mies-van-der-Rohe-Hochhaus oder der russische MigrantInnenmarkt in Athen vermittelten ein ganz anderes Bild städtischen Handels. Bei einer Exkursion nach Rumänien stieß sie mit ihren StudentInnen auf Verkaufseinrichtungen in Garagen und von Lkws herab; statt Abstandsgrün wurde neben den Wohnblocks Gemüse gepflanzt. Daß dies immer noch als Notkultur der weit hinter uns liegenden Nachkriegszeit abgetan würde, mache die Ordnungsmuster einer privilegierten Warengesellschaft deutlich. So seien Wäscheleinen selbst für diejenigen in Hamburg-Wilhelmsburg verboten, welche sich einen Wäschetrockner nicht leisten können.
In der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke 4 blieb die Frage nach den „neuen Chancen für öffentliche Räume“ unbeantwortet. Obgleich durch Umnutzung von Häfen, Industrieanlagen und Gleisfeldern diese Orte erstmals wieder zugänglich werden, greift hier ein privatwirtschaftliches Kontrollregime ein, welches über Zutritt wie Rendite wacht. Zwar suchen die zwischen allgemeinem Interesse und Kapitaldruck operierenden Städte den öffentlichen Anspruch per Grundbucheintrag herüberzuretten. Doch dem Druck der Developer halten die Kommunen kaum mehr stand, wenn die Hamburger Bauverwaltung etwa schon zwanzig Prozent ihrer Arbeitszeit für die Regulierung neuer Zentren aufwendet. Dies sei „eine unserer bittersten Auseinandersetzungen – häufig auch gegen die Politik“, wie Oberbaudirektor Kossak zugeben mußte. In seinen Randbemerkungen machte dann auch der Stuttgarter Bürgermeister deutlich, wie er hierbei von der Bahn AG sowie den Baukonzernen gejagt würde: Da habe sich die „Stadt mächtig in die Gänge geworfen“, es „ging natürlich alles sehr schnell“, ein „gewaltiges Projekt“ und eine finanzpolitisch problematische Sache. Diese ökonomischen Zwänge sind – und da hilft kein Jammern – solcherart Großprojekten unhintergehbar eingeschrieben. „Scheiß auf den Kontext!“ befand Rem Koolhaas. So also fühlt sie sich an, die „Stadt im 21. Jahrhundert“.
Landeshauptstadt Stuttgart (Hg.): „Stuttgart 21 – Entwürfe für eine neue Stadt“. Deutsche Verlags- Anstalt, 64 DM
Die Wanderausstellung „Renaissance der Bahnhöfe – Die Stadt im 21. Jahrhundert“ gastiert noch bis zum 21. Januar 1998 in den Hamburger Deichtorhallen.
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