piwik no script img

Streichholz gefällig?

■ Margot R. wollte 10.000 Zündholzpackungen, nun hat sie 100.000 / Gericht: Kein Betrug

Das kleine Sonnenstudio von Margot R. in der Neustadt läuft mäßig. Zwischen 20 und 25 Stammkunden bräunen sich dort in einer Woche. Vor drei Jahren kam Margot R. eine scheinbar rettende Werbeidee: Zündhölzer. Mit Logo und Adresse auf dem Deckblatt sollten die Streichholzbriefchen an Kunden verschenkt und auf die umliegenden Geschäfte verteilt werden.

Bekannte, die ein Autohaus haben, empfahlen Margot R. eine bestimmte Zündholzfirma. Der Handelsvertreter Michael K. wurde ins Sonnenstudio bestellt. Nach einer halbstündigen Beratung unterschrieb Margot R. einen Vertrag über 100.000 Stück, obwohl sie doch nur 10.000 Packungen wollte. „Ich wurde am Telefon abgelenkt“, sagt sie heute. Betrug oder nicht, war gestern die Frage vor dem Amtsgericht.

„Ich habe das Gefühl, ich sitze im falschen Film“, meinte Michael K. gleich zu Beginn. Übervorteilen und Betrügen gehöre nicht zu seiner Verkaufstaktik. „Ich begeistere Leute.“An das Gespräch mit Margot R. konnte sich der 35jährige zwar nicht mehr erinnern, zeigte dem Richter aber mit Elan, wie es sonst läuft: Vorführschachteln werden beguckt, Form und Farbe gewählt, Stückzahl festgesetzt. Die Preisliste läge dabei immer auf dem Tisch. Am Ende gehe er den abgeschlossenen Vertrag in jedem Punkt mit dem Kunden durch. „So habe ich schon 1.200 Abschlüsse gemacht. Davon weiche ich nie ab.“

Doch bei Margot R. muß irgendetwas schief gelaufen sein. Eigentlich wollte die 48jährige nur 5.000 Zündheftchen. „Aber er hat gesagt: Nehmen sie 10.000, das wird billiger.“Das leuchtete ihr ein. Danach scheint sich Margot R. nicht weiter um den Vertragsabschluß gekümmert zu haben. Telefonanrufe und Kunden lenkten sie ab. Die Atmosphäre zwischen ihr und Michael K. war locker. „Er redete und snackte über lauter Tüddelkram.“

Ein Auftrag über 10.000 oder 100.000 Stück, es stand Aussage gegen Aussage. Vermutlich haben beide aneinander vorbeigeredet. Denn 100.000 Zündhölzer werden nicht in einem geliefert, sondern zehn Jahre a 10.000 Stück. „Teilmenge“nennt sich das. „Er hat nichts von einer Teilmenge gesagt“, verteidigte sich Margot R. Der Richter hielt das für unwahrscheinlich und sprach Michael K. frei. Margot K. besitzt jetzt vermutlich bis an ihr Lebensende 100.000 Zündhölzer. Denn eines ist für sie sonnenklar: „Werbung kommt für mich nicht mehr in Frage.“ susa

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen