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Späte Gerechtigkeit

Fast fünf Jahre dauerte es, bis in Brandenburg ein Überfall von Neonazis auf Hausbesetzer zur Anklage kam  ■ Aus Potsdam Severin Weiland

Klaus Przybilla ist einiges gewöhnt. Der Richter am Landgericht in Potsdam hat schon so manche Verfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund verhandelt. Was der Jurist aus Westdeutschland aber am Mittwoch dieser Woche erlebt, löst auch bei ihm nur noch Kopfschütteln aus. „Das muß öffentlich gemacht werden.“

Fast fünf Jahre hat die Staatsanwaltschaft gebraucht, um einen Überfall rechter Jugendlicher auf Hausbesetzer zur Anklage zu bringen. Das, obwohl das Bundesamt für Verfassungschutz schon im Frühjahr 1994 in einem Dienstvermerk die Potsdamer Behörde auf die mutmaßlichen Täter aufmerksam gemacht hatte. Es ist wohl nur dem Berliner Rechtsanwalt Christoph Kliesing zu verdanken, daß überhaupt noch verhandelt wird. Schon im Mai 1992 hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mangels Aussicht eingestellt. Erst die Beschwerde Kliesings, der das Opfer des damaligen Überfalls vertritt, führte zur Wiederaufnahme.

An diesem kalten Mittwoch morgen sitzen Maik P. und Eric O. auf der Anklagebank der Jugendkammer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gefährliche Körperverletzung und Fahren ohne Fahrerlaubnis vor. Die beiden Männer mit den kurzgeschnittenen Haaren sollen vor über sechs Jahren an dem Überfall beteiligt gewesen sein.

Rückblick: Am 25. August 1991 hält eine Gruppe Hausbesetzer Wache vor dem Schloß Zeesen, rund 30 Kilometer südlich von Berlin. Am Tag zuvor hatte es eine Schlägerei mit Rechten gegeben. Am Abend des 25. August fährt ein Auto vor das Schloß. Es fallen zwei Schüsse. Der Niederländer Jurjen de Vries, damals 32 Jahre alt, erleidet einen Armdurchschuß. Der 26jährige Eric O. soll einen der Schüsse abgefeuert, der 28jährige Maik P. den Wagen gefahren haben.

Es ist eine Runde alter Bekannter, die da im Gerichtssaal aufeinander trifft. Die beiden Angeklagten hat Richter Przybilla schon einmal verurteilt – zu jeweils eineinhalb Jahren auf Bewährung wegen schweren Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung. Das war vor vier Jahren in einem Mammutverfahren gegen eine Gruppe Jugendlicher, die eine Gaststätte in Wolzig überfallen hatten. Die Tat geschah nur wenige Tage nach den Schüssen vor dem Schloß in Zeesen.

Wolzig war ein spektakulärer Prozeß. Das lag nicht zuletzt an Ines L. Die junge Frau hatte gegen die Gruppe, in der viele ihrer damaligen Freunde waren, ausgesagt. Jetzt ist sie wieder geladen. Sie hatte am Abend des 25. August 1991 mit im Auto gesessen, aus dem die Schüsse fielen. Doch die 25jährige aus Wildau will plötzlich keine Belastungszeugin mehr sein. „Weiß ich nicht mehr“, lautet ihre Standardformel, wenn sie auf frühere Aussagen angesprochen wird.

Ines L. ist mittlerweile Angestellte im öffentlichen Dienst. Sie hat also viel zu verlieren. Doch draußen auf dem Flur, in den Pausen, stehen ihre früheren Freunde – mit dem Angeklagten Maik P. war sie zusammen. Ines L. ist nicht zu beneiden. Das weiß auch das Gericht, weiß auch Kliesing als Nebenkläger. Sie hat sich losgesagt, aber da sind noch die Freunde von einst, die ihr offensichtlich Angst machen. Sie sieht sie in der Disko. Und da ist schließlich ihr Bruder, der immer noch zur Clique gehört und der sie im Wolzig-Verfahren öffentlich als Selbstdarstellerin bezeichnet hatte. In den Pausen steht Ines L. mit ihnen zusammen, raucht, versucht den Blicken der Journalisten auszuweichen.

Im Gerichtssaal windet sich Ines L. Ob sie denn im Frühjahr 1994 die Wahrheit gesagt habe, will das Gericht wissen. Schließlich hat sie detaillierte Angaben zum Überfall auf das Schloß Zeesen gemacht. Zunächst, auf Vermittlung einer Berliner Journalistin im Büro von Rechtsanwalt Kliesing, später vor der Kriminalpolizei. Ines L. hat es schwer. Die Journalistin wird als Zeugin vernommen und bestätigt ihre früheren Aussagen.

Dann kommt die Stunde von Rechtsanwalt Kliesing, der aus einem Aktenvermerk vorliest, den er sich während des Gesprächs mit Ines L. gemacht hatte: Daß der Überfall in Zeesen eine Racheaktion gewesen sei, daß Maik P. den Wagen gefahren habe, daß Eric O. und Renato P. schossen und die drei Männer sich zuvor vermummten. Die Waffen, zwei Luftdruckgewehre, habe Eric O. aufgerüstet, der Wagen sei anschließend in einem Wald verbrannt worden. „Ja“, sagt Ines L., die Aussage habe sie gemacht. „Entspricht sie denn der Wahrheit“, fragt Richter Przybilla. „Weiß ich nicht.“ So geht es stundenlang. Das Gericht hat schließlich ein Einsehen, verzichtet auf eine Vereidigung – um Ines L.s neues, schwieriges Leben nicht wegen einer möglichen Falschaussage zu zerstören.

Es ist ein Verfahren, in dem auch die mutmaßlichen Täter unter Amnesie zu leiden scheinen. Eric O. kann sich an nichts erinnern. Auch nicht an seine Festnahme in Süddeutschland im Januar 1994, bei der Waffen und rechtsextremes Propagandamaterial gefunden wurden. Maik P. will keinen Toyota besessen haben, auch wenn das Gericht ihm zweifelsfrei anhand von Kfz-Akten das Gegenteil nachweist.

Und dann ist da noch der dritte Mann im Wagen, Renato P. Sein Verfahren wegen Zeesen wurde bereits eingestellt; er ist als Zeuge geladen. Renato P. sitzt seit 1995 wegen eines Raubüberfalls in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg. Auch er ist in der rechten Szene kein Unbekannter. Bald wird er wieder vor Gericht stehen. Diesmal wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an einem Anschlag auf ein unbewohntes Asylbewerberheim in Dolgenbrodt.

Das Urteil im Zeesen-Prozeß wird am kommenden Montag erwartet.

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