: Erstmals in der Geschichte Süd-Koreas stellt die Opposition den Präsidenten. Der Wahlsieger Kim Dae Jung kündigt seinen Landsleuten schmerzliche Reformen an. Die Auflagen des Internationalen Währungsfonds werden die Arbeitslosenzahlen in dem krisengeschüttelten Land in die Höhe treiben. Die Börse in New York reagierte mit einem Schwächeanfall. Aus Seoul André Kunz
Harte Zeiten für Süd-Korea
„Ich will als der Präsident Süd- Koreas in die Geschichte eingehen, der das Land aus der Wirtschaftskrise führt.“ Kim Dae Jung, der Vater der südkoreanischen Demokratiebewegung, hat seinen Lebenstraum verwirklicht, er ist Präsident des Landes geworden, dessen Führer ihn bis vor drei Jahren als Kommunisten und Pjöngjang- freundlichen Oppositionellen verunglimpften. Er war der prominenteste Gegner der Militärdiktatur, verbrachte sieben Jahre als politischer Gefangener im Gefängnis, wurde entführt, gefoltert, ins Exil verbannt und entkam nur knapp einem Mordkommando des berüchtigten südkoreanischen Geheimdienstes.
Vier Anläufe hat der heute 73jährige Kim auf das Präsidentenamt unternommen. 1971 verlor er gegen den Militärdiktator Park Chung Hee, 1987 – in den ersten halbwegs demokratischen Wahlen – gegen Roh Tae Woh und 1992 gegen Kim Young Sam. Diesmal hat er den Sprung ins Blaue Haus – wie der Präsidentenpalast in Seoul heißt – vor allem deshalb geschafft, weil die Opposition erstmals geeint hinter ihm als einzigen Kandidaten stand, während die Regierungspartei völlig zerstritten daherkam.
Mit dem Sieg des Chefs des Nationalkongresses für Neue Politik übernimmt erstmals nach 44 Jahren die Opposition das Steuer in einem Land, das aus der Asche des Koreanischen Krieges (1950–53) innerhalb einer Generation zur elftstärksten Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist. Kim Dae Jung kann aber keinen kraftstrotzenden „asiatischen Tiger“ reiten, sondern muß das Land aus der schwersten Wirtschaftskrise in seiner Geschichte herausführen.
Die Aufgaben, die auf Kim Dae Jung warten sind nicht weniger herausfordernd als sein politischer Aufstieg. Seit das Land mit der Unterzeichnung des 57-Milliarden-Dollar-Stützungspaketes durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) Anfang Dezember zum größten Bittsteller in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte geworden ist, schieben sich die Südkoreaner gegenseitig die Schuld für das wirtschaftliche Fiasko zu. Xenophobe Untertöne, die sich gegen den IWF, den Wirtschaftsmächten USA und Japan richteten, waren dabei nicht zu überhören. Kim ist angetreten, den verletzten Stolz der Südkoreaner auf ihre wirtschaftlichen Errungenschaften und das Vertrauen der internationalen Investoren in das Finanzsystem des Landes wiederherzustellen.
Die Signale der Finanzmärkte am ersten Tag nach seiner Wahl waren negativ. Obwohl Kim in seiner ersten Pressekonferenz gestern mit Nachdruck darauf verwies, daß er die Auflagen des IWF getreu ausführen werde, sind Analysten rund um den Globus skeptisch geblieben. Es beweist, daß für die globalisierte Wirtschaft der demokratische Reifeprozeß, durch den das Schwellenland Süd-Korea geht, nebensächlich ist und nur die Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte zählt. So weiß Kim, daß sein Hauptinteresse für die nächsten Monate auf die Wirtschaft des Landes fokussiert sein wird.
Mit einer Landeswährung, die innerhalb eines halben Jahres um 50 Prozent gegenüber dem US- Dollar abgewertet wurde und einer Börse, die in nur drei Monaten 40 Prozent ihres Wertes verloren hat, übernimmt Kim eine Wirtschaft, die im nächsten Jahr in ihre schwierigste Phase seit Jahrzehnten geht, wenn das Reformprogramm des IWF seine volle Wirkung zeigen wird. Um rund vier Prozent muß das Land sein Wirtschaftswachstum von bisher jährlichen sechs Prozent drosseln. Der Bremsgang – eine regelrechte Rezession – so fürchten einheimische Ökonomen, wird viele Unternehmen in den Konkurs treiben und ein Heer von rund 1,2 Millionen zusätzlichen Arbeitslosen schaffen. Eine Aussicht, die für die an lebenslang garantierte Arbeitsplätze gewohnten Südkoreaner völlig neu und bedrohlich wirkt.
Kim galt bisher als Verteidiger der Arbeiterrechte, nun wird er unter dem Regime des IWF das Arbeitsgesetz liberalisieren und damit eigenhändig die Tore für Entlassungen öffnen müssen. Wie seine Anhängerschaft diese bittere Pille schlucken wird, ist nicht abzusehen. Tragisch wäre es, wenn Kim Dae Jung schon in den ersten Wochen seiner Amtszeit die Polizei zu gewaltsamen Tränengas- und Stockeinsätzen gegen eine aufbegehrende Arbeiterschaft in den Straßen der südkoreanischen Städte schicken müßte.
Dem Präsidenten Kim Dae Jung werden auch die Mittel fehlen, die er zur wirtschaftlichen Förderung seiner Heimatprovinz Cholla im Südwesten des Landes nötig hätte, da die IWF-Auflagen auch eine strenges Zins- und Steuerregime vorschreiben. Seine treuen Anhänger in dieser armen Provinz werden schnell enttäuscht sein.
Die wirtschaftlichen Probleme, die Kim zu lösen hat, werden ihm nur wenig Zeit für seine politischen Reformvorhaben lassen. In Angriff nehmen wollte der neue Präsident vor allem die Normalisierung der Beziehungen zu Nord-Korea und die Umwandlung des politischen Systems mit einem parlamentarisch gewählten Präsidenten, in dem der Ministerpräsident mit mehr Macht ausgestattet wird.
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