: Kaufmann Giszes letzte Reise
Eintausendsechshundert Gemälde von unschätzbarem Wert ohne die kleinste Beschädigung durch die Stadt transportieren – das logistische Mammutprojekt des Umzugs der Gemäldegalerie von Dahlem in das neue Domizil am Kulturforum in Tiergarten ist abgeschlossen ■ Von Katrin Bettina Müller
Leere Wände, nichts mehr. Staubige Ränder markieren die Plätze der Bilder von Rubens und Rembrandt, Cranach und Velázquez in der Gemäldegalerie Dahlem. Vorbei die Zeit der intimen und beschaulichen Gespräche mit den alten Meistern. Im September feierte die Gemäldegalerie ihren Abschied von Dahlem. Seitdem stapeln sich Stahlkoffer und Klimakisten im Eingang Arnimallee für den Umzug in den Neubau am Kulturforum. Ende Dezember soll das Mammutunternehmen geschafft sein, über 1.600 Gemälde zu transportieren.
Heute sind die Venezianer dran. Ein Tiepolo und Canalettos Nachtbilder gehören zu den letzten, die im Saal des italienischen Barock von den stoffbespannten Wänden genommen werden. Auf einer fahrbaren Stellage rollen sie zum Aufzug und werden ins Erdgeschoß gebracht. Dort warten die ausgepolsterten Klimakisten, die eigens für den Transport alter Gemälde hergestellt wurden. Ein kurzes Jaulen der Elektroschrauber, und die Kisten sind luftdicht verschlossen.
Dann werden die Vitrinen mit den kleinen Bildern im Erdgeschoß geräumt. Auch ein heiliger Christopherus, zuständig für sichere Transporte, wird heute auf die Reise geschickt. Die Kupfertafel von Orazio Gentileschi hat zwar in einem der Stahlkoffer Platz, droht darin aber zu rutschen. Jetzt werden Augenmaß und sichere Hände verlangt. Zack, zack, zack rast das Teppichmesser der Kunstpacker durch den Schaumstoff, der das Bild fest im Koffer verankert. Dann wird die Pappe zugeschnitten, um die Malschicht vor Reibung zu schützen. Damit ja keine Krümel des Verpackungsmaterials auf die zarten Firnisschichten geraten, schwingen die Kunstpacker zwischendurch den Staubsauger.
Die Restauratorin Beatrice Graf überwacht die Verpackung. Sie „checkt“ jedes Bild auf seine Transportfähigkeit und ästhetische Schäden. „Jedes Bild erhält ein Umzugsprotokoll. Die Nummern auf den Transportkisten lassen dann bei der Ankunft im Neubau gleich erkennen, ob die Bilder in die Schausammlung oder ins Depot gehören, um unnötige Bewegungen zu vermeiden.“
Der jetzige Umzug ist der dritte der Sammlung, die 1830 von kunstsinnigen Bürgern initiiert wurde und in Schinkels Altem Museum – dem ersten eigenständigen Museumsbau Berlins – ihren Ausgang nahm. Sie wurde nicht mehr als Spiegel höfischer Prachtentfaltung angelegt, wie die Sammlungen des Prado in Madrid oder des Louvre in Paris. In den preußischen Museen hingegen versicherte sich das Bildungsbürgertum der Geschichte in den Zeugnissen der Vergangenheit. 1904 erhielten die Gemälde das erste eigene Haus an der Spitze der Museumsinsel: Das war die Sternstunde des Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins, nach dem das Museum (heute Bodemuseum) zuerst benannt worden war.
Den zweiten „Umzug“ der Bilder dagegen prägten Krieg, Flucht, Evakuierung, Eroberung, Teilung und Rückholung. Damals wurde ein großer Teil des Bestandes in den Flakturm des Zoo-Bunkers ausgelagert und wanderte von dort aus in die in Ost- und West-Berlin getrennt weitergeführten Sammlungen. Der Umzug, der die Sammlungen am neuen Standort nun wieder zusammenbringt, startete im Juni. Gebangt hat die Dahlemer Magazinchefin Christine Exeler vor allem um die großen Holzaltäre, „die eigentlich nur durch mittelalterliche Kathedraltüren passen“. Dafür mußten nicht nur extra Anhänger bestellt, sondern auch die Türen und Gänge zwischen den Depots im Untergeschoß des neuen Museums höher gebaut werden als zuerst geplant, berichtet sie. Aber diese kamen genauso gut an wie Botticellis „Thronende Maria“ und der „Kaufmann Gisze“ von Hans Holbein, um den Peter Scheel, Magazinverwalter aus Dahlem, gezittert hat. Denn das auf sehr dünnem Holz gemalte Bild mußte eigens unterfüttert werden.
Da Holz und Grundierung unterschiedlich auf die Luftfeuchtigkeit reagieren, drohen Schwankungen des Klimas jene dünne Schicht von Farbe, in der die ganze Illusion der Vorstellung vergangener Jahrhunderte steckt, zu zerreißen. In den Klimakisten helfen Dampfsperren, die klimatischen Ausgangswerte für zehn Stunden zu bewahren. Der Blick auf die Rückseite einer Leinwand, die im Umzugsraum an der Wand lehnt, erleuchtet mit einem Schlag die Fragilität der Gemälde und läßt die Vergänglichkeit ihrer Materialien ahnen. Man kann sich kaum das Maß an historischen Glücksfällen vorstellen, das sie über Jahrhunderte hinweg vor Kriegen, Feuer, Feuchtigkeit bewahrt und bis in unsere Gegenwart gerettet hat.
Der Wert der Sammlung läßt sich kaum ermessen. Anders als der aktuelle Kurswert für Aktien läßt sich das Kapital großer Sammlungen schon deshalb nicht in Marktwerte und D-Mark umrechnen, weil die Bedeutung der einzelnen Bilder durch den Kontext der Sammlung gesteigert wird. Eine Versicherung können sich die großen Museen für ihre Schätze schon lange nicht mehr leisten.
Wer aber deshalb erwartet, daß der Kunsttransport, der täglich zweimal zwischen Dahlem und dem Kulturforum pendelt, von Blaulicht begleitet wird oder wie im Krimi auf geheimgehaltenen Routen fährt, den enttäuschen sicher die unspektakulären Fahrten. Zwar achtet Peter Scheel bei der Zusammenstellung der Transporte darauf, die Werke der berühmtesten Künstler stets auf mehrere Frachten zu verteilen. Doch das einzige, was die Ankunft der Bilder bisher schon einmal verzögert hat, waren Demonstrationen von Studenten.
Irene Geismeier, die lange Jahre die Gemäldegalerie im Bodemuseum leitete und heute als Stellvertretende Direktorin die Umzugslogistik plante, ist erleichtert. 110 Umzugstage hat sie kalkuliert, und die scheinen wohl zu reichen. Zwar kann der gefürchtete Frost noch Verzögerungen mit sich bringen, aber von den 1.600 Bildern aus Dahlem sind fast alle schon im Neubau angekommen. Das übrige Inventar von historischen Leerrahmen und Möbeln ist nicht ganz so empfindlich.
Ganz zufrieden ist sie dennoch nicht, denn eigentlich war ein Umzug von „Nagel zu Nagel“ geplant. Doch da sich die Fertigstellung des Neubaus verzögerte, während im Bodemuseum schon der Umbau begann, mußte der dortige Bestand drei Monate zwischengelagert werden. Auch jetzt kann mit der Einrichtung der Schauräume erst in einem Gebäudeteil begonnen werden, so daß die Bilder für die Schausammlung im Atombunker des Museums warten. Nur die Bilder, die für das Depot bestimmt sind, haben schon ihren endgültigen Platz auf den großen Schiebewänden gefunden.
Bis zur geplanten Eröffnung im Juni 1998 ist allerdings noch Zeit, das Konzept der Hängung in der Praxis zu überprüfen. Die geplante Ordnung tradiert den Geist der Museumsgründer des 19. Jahrhunderts. Schon die bauliche Gliederung in einen Nord- und einen Südflügel unterstützt die Aufteilung in eine nord- und eine südalpine Schulen der Malerei. Ob sich diese kunsthistorischen Kategorien, die im Zusammenhang mit den Ideen der Nationalstaaten entwickelt wurden, nicht als ein zu starres Korsett erweisen, das Fragen der Gegenwart an die Kunst der Vergangenheit und damit ein aktuelles Interesse an der Geschichte gar nicht erst aufkommen läßt, wird sich noch zeigen.
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