: Einen Toast auf Milan Milutinović
Serbiens Sozialisten feiern den Sieg ihren Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen. Beobachter kritisieren massive Fälschungen in der Provinz Kosovo ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji
Im Belgrader Hauptquartier der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) wurde gestern bereits in den frühen Morgenstunden gefeiert. „Wir haben es geschafft!“ gratulierten sich die Sozialisten unter dem Bild ihres Präsidenten, Slobodan Milošević. Man schüttelte sich die Hände und prostete einander zu. Der Alptraum von Vojislav Šešelj mit der serbischen Krone auf dem Haupt scheint endlich vorbei zu sein.
Sichtlich erleichtert und mit einem strahlenden Lächeln erklärte der sozialistische Pressesprecher Ivica Dacić bereits in den frühen Morgenstunden: „Unser Kandidat, Milan Milutinović, ist der neue Präsident Serbiens! Milutinović hat 59,68 Prozent der Stimmen gewonnen, sein Gegner, Vojislav Šešelj, hat nur 37,24 Prozent bekommen.“ Die Wahlbeteiligung habe bei 50,52 Prozent gelegen, damit seien die Wahlen gültig.
„Dacić lügt!“ konterte der besiegte Führer der ultranationalistischen Radikalen Partei Serbiens, Vojislav Šešelj, sofort. Die Wahlbeteiligung habe unter 50 Prozent gelegen, deshalb müßten die Präsidentschaftswahlen wiederholt werden. „Sollte sich herausstellen, daß Milutinović die gestohlenen Stimmen im Kosovo zum Sieg verholfen haben, werden wir gegen das Ergebnis dieser Wahlen mit allen Mitteln vorgehen“, drohte Šešelj bitterböse.
Die Beobachter der Radikalen im Kosovo berichteten von „unerhörten Wahlmanipulationen und Fälschungen. 26 radikale Abgeordnete im Landes- und Bundesparlament, die Wähler gewaltsam an der Abstimmung zu hindern versuchten und die noch „vor den Wahlen randvollen Urnen“ zerstören wollten, wurden von Sicherheitskräften verprügelt und verhaftet.
Die Albaner, die 90 Prozent der Bevölkerung im Kosovo stellen, boykottieren aus Prinzip alle serbischen Wahlen. Trotzdem soll Milutinović allein im Wahlbezirk Glagovac, wo nur 20 wahlberechtigte Serben angemeldet sind, 1.522 Stimmen bekommen haben. Ähnliche „höchst unwahrscheinliche“ Ergebnisse werden im ganzen Kosovo verzeichnet.
Gestern nachmittag hatte die wahlkommission die offiziellen Wahlergebnisse noch nicht bekanntgegeben. Alle unabhängigen Beobachter und Wahlforschungsinstitute sind sich schon jetzt einig: Milutinović hat die Stichwahl zwar überzeugend gewonnen, die Wahlbeteiligung lag jedoch zwischen 48 und 49,5 Prozent.
Schadenfreude herrschte auch bei der serbischen bürgerlichen Opposition. Als die Leader der Koalition Zajedno, Zoran Djindjić, Vuk Drasković und Vesna Pesić die wochenlangen Massenproteste im vergangenen Winter gegen die Wahlfälschungen des Regimes bei den Lokalwahlen anführten, hatte sie Vojislav Šešelj noch ausgelacht. Spaziergänge seien zwar gut für die Gesundheit, hätten jedoch nichts mit Politik zu tun, lautete damals ein gängiger Kommentar. „Sollte ich jemals meine Anhänger zu Massendemonstrationen aufrufen, dann wird das Regime fallen“, hatte Šešelj noch vor einem Jahr erklärt. Der selbsternannte Woiwode der serbischen Tschetniks, den Slobodan Milošević einst liebevoll „mein liebster Oppositionspolitiker“ nannte, ist jetzt zum ersten Mal selbst unter die Räder des Regimes geraten. Šešelj fühlt sich um das Präsidentschaftsamt betrogen.
Das könnte Konsequenzen haben. Denn im Gegensatz zu den Intellektuellen und Studenten, die vor einem Jahr friedlich und voller Elan in Serbien für mehr Demokratie demonstrierten, aber keine physische Gefahr für die schwerbewaffneten Polizeieinheiten darstellten, verfügt Šešelj über eine eigene Armee. Vor allem in der Polizei und unter Berufsoffizieren des jugoslawischen Bundesheeres soll Šešelj viele Anhänger haben. Diese fanatischen Mitläufer, die zu einem großen Teil ehemalige Freischärler im kroatischen und bosnischen Krieg waren, würden dem Aufruf ihres Führers überallhin folgen. Kommentar Seite 12
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