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„Die reichen Leute sind geizig“

Von einem GALier, der auszog, mit einem Naturkostladen eine Existenz zu gründen, und der nach nur zwei Jahren aufgeben will: Der Laden wirft nicht genug Geld ab  ■ Von Florian Marten

ein, es ist nicht so gelaufen, wie ich gehofft habe. Aber wenigstens lebe ich gut. Ich bin mein bester Kunde.“Uli Gierse lächelt. Und tatsächlich, sein frischer Cappuccino aus guatemaltekischer Transfair-Bohne mit einem Schuß Bio-Sahne mundet weich und kräftig, wie selbst im Landhaus Scherrer kaum. „Geld für Klamotten ist allerdings nur selten übrig.“

Gut eingetragene Jeans, gemütliches Cord-Hemd und ein blonder Wuschelkopf noch ohne graue Strähnen – eigentlich gehört Uli Gierse, einst rühriger Landesgeschäftsführer der Hamburger GAL, zu jenen Menschen, nach denen sich Deutschlands Wirtschaftspolitiker die Finger lecken: Er ist mutig, fleißig und klug, vor allem aber war er bereit, ohne Tarifvertrag und 37,5-Stunden-Woche eine eigene Existenz zu gründen. Kaum eine Woche hatte seither weniger als 60 Arbeitsstunden. Doch trotz zweijährigen Abrackerns denkt Gierse jetzt ans Aufhören. Eine typische Gründerkarriere?

In Hamburg sind Existenzgründungen von Klein- und Kleinstbetrieben mittlerweile das erfolgreichste Mittel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Mit einem Positivsaldo von mehr als 4000 Betrieben, die übrigbleiben, wenn man alle Neugründungen den Firmenschließungen gegenüberstellt, lag Hamburg 1996 auf Platz zwei des deutschen Bundesländerrankings – nur knapp hinter Brandenburg, aber weit vor Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und dem Schlußlicht Bremen. Doch nicht einmal jeder zweite neue Betrieb überlebt das dritte Geschäftsjahr.

Eigentlich hat Uli Gierse überhaupt nichts falsch gemacht. Als er im Dezember 1995 antritt, um als frischgebackenes Handelskammermitglied in aussichtsreicher Lage am Hallerplatz seinen Edel-Naturkostladen „Ceres“zu eröffnen, ist er sich seiner Sache noch sicher. Immerhin liegt das Geschäft mitten zwischen Gründerjahrepalästen und Uni-Viertel, Studis und StucketagenbewohnerInnen zählen zu seiner Kundschaft. Der „grüne Laden der dritten Generation“verzichtet auf erdverschmiertes Gemüsekistenchaos, handgestricktes Ökoschaf-Outfit und salbadernde Besserwisserei.

Gierse will Dienstleister sein. In seinem Sortiment finden sich vor allem „Sachen, die ich selber mag“. Seine Verkaufsmessage stammt denn auch nicht von „Ceres“, der römischen Fruchtbarkeitsgöttin, sondern von den Sozis: „Toskana“, so schwärmte Gierse bei der Eröffnung am 1. Dezember 1995. „Genießen, Geschmack, darauf kommt es mir an.“Anstelle von Mondphasenphilosophie überm Teltower Rübchen finden sich bei ihm daher Bio-Espresso und blutroter Chianti im Angebot.

Auch wenn manche Formulierung heute ein bißchen bedächtiger daherkommt, sich in das freundlich-breite Lachen manchmal ein resignierter Unterton schleicht – zwei Jahre Einzelhandelskaufmann haben aus dem linken Realo, dem schon 1995 die Spitzenfunktionäre der GAL „zu angepaßt“waren, keinen ganz anderen Menschen gemacht. „Ich hab viel gelernt“, räumt Uli Gierse ein.

Hat er dabei eigene Überzeugungen von einst über Bord geworfen? „Ich bin marktorientierter geworden“, betont er und schlürft bedächtig an seinem Milchkaffee. Sobald das Gespräch auf Politik kommt, ist er ganz der alte: „Ich bin total entgeistert, was die da im Koalitionsvertrag abgeschlossen haben – vor allem im Sozialbereich. Von einem sozialen Korrektiv ist da kaum noch etwas zu sehen.“

In auffälligem Kontrast zu seinem politischen Feuer stehen die vielen Erkenntnisse über Lust und Leid eines Naturkostladens am Rothenbaum. Was lief falsch? Warum hat der grüne Kaufmann im Schnitt nur 965 Mark Tagesumsatz gemacht, statt der erforderlichen 1000 oder gar der erhofften 1500 Mark? Warum läßt die Durchschnittskundin nur 14,50 und nicht 18,70 Mark auf der Holztheke? Auf all diese Fragen kennt Uli Gierse mittlerweile eine Fülle von Antworten. Zum Beispiel diese: „Die reichen Leute sind geizig.“

In diesem Moment betritt ein Herr mittleren Alters in Kaschmirschal und flottem Filzhut das feine Korkparkett des Ladens. Ihm folgt eine ältere Dame mit höchst distinguierter Attitüde. Der Filzhut entschwindet kurz darauf mit einer Zitrone für 90 Pfennige. Die Dame kauft ein kleines Stückchen Käse und ein paar Mandarinen, macht zusammen 6,10 Mark.

Wenig später kommt eine junge Frau im selbstgewirkten Ringelpulli mit ihrem Baby in den Laden. Sie läßt immerhin 42,80 Mark bei Uli Gierse. Doch die reichen als Korrektiv nicht aus. Die Mischkalkulation aus Bio-Champagner und Babybrei funktioniert nicht – die oberen Zehntausend vom Rothenbaum lassen sich allenfalls zu einer Pfandflasche südfranzösischen Rotweins verführen. Da hilft auch keine Verkaufsphilosophie.

Uli Gierse schwört zum Beispiel auf die „gute Aura“. Die hat man, oder man hat sie nicht. Und natürlich hängt sie davon ab, wie man drauf ist. „Das merken die Leute“, davon ist der Toskana-Öko überzeugt. Gleichzeitig gebe es Läden, die KäuferInnen wie Magneten anziehen. „Die Menschen gehen dahin, wo schon Menschen sind“, weiß Gierse. Dadurch würden Einkaufszentren schon allein von ihrer Größe profitieren. Selbst von Vorahnungen ist der politische Realo nicht frei: „Manchmal merke ich schon morgens“, so gesteht er, „ob heute Leute in den Laden kommen oder nicht.“Ist das nicht esoterische Spinnerei? Gierse lacht: „Nein, ich glaube an keine feste Theorie. Aber auffällig ist es schon. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.“

Rückblickend weiß Gierse, daß er schon gleich zu Beginn einige gravierende Fehler gemacht hat: „Ich hielt die Lage für gut, doch der Laden ist 50 Meter zu weit nördlich.“Zu Anfang sah es in der Gegend außerdem noch viel zu schick aus. „Da dachten die Leute gleich, hier ist es viel zu teuer.“

Außerdem vernachlässigte der glücklose Gourmet zunächst das sogenannte Naturkosmetik-Angebot. „Dabei handelt es sich überhaupt nicht um reine Naturprodukte – da ist überall Chemie drin“, weiß Gierse. Nur ein größeres Warenangebot und ein offensives Marketing hätten „Ceres“in jene Umsatz-Umlaufbahn schießen können, welche ein fröhliches Schweben weit über dem angepeilten Min-destumsatz ermöglicht hätte. Dafür aber war das Geld zu knapp.

Hätten nicht Subventionen für Existenzgründer helfen können? Uli Gierse wirkt plötzlich verbittert. Denn Subventionen gibt es nur, wenn der Antrag vor der Gründung einer Existenz gestellt wird: „Mietverträge darfst du zum Beispiel noch nicht abgeschlossen haben.“Im Einzelhandel, wo oft innerhalb weniger Tage über die Übernahme des Traumladens entschieden werden muß, ist das eine Absurdität. Da der ehemalige GAL-Geschäftsführer zudem keine kaufmännische Ausbildung nachweisen konnte, blieb er von normalen Existenzgründungsdarlehen sowieso ausgeschlossen. Lediglich sein Haspa-Kredit, durch eigenen Besitz schon doppelt abgesichert, bekam die Gnade einer dritten Absicherung durch die Hamburger Bürgschaftsgemeinschaft – und die kassiert dafür zusätzliche Gebühren.

Entscheidender als all diese Fehlschläge und Mißgeschicke aber waren vermutlich die Entwicklungen in der Naturkostbranche selbst. Die Zeiten, in denen eine kleine verschworene Gemeinde aufgrund von Gesundheitsbewußtsein und purer Solidarität alles zu jedem Preis kaufte, sind längst passé: „Die Konsumenten sind inzwischen besonders kritisch.“Ist der Preis höher als im Supermarkt, dann muß die Qualität auch stimmen. Damit aber, so gibt Gierse unumwunden zu, hapert es: „Gerade bei Käse, Obst und Gemüse sieht es oft schlecht aus.“

Auf den ersten Blick scheint das unverständlich: Kommt Saisongemüse nicht gerade im Naturkosthandel aus der Region? Gierse lacht: „Die Logistik stimmt nicht“, meint er, „die Waren sind oft viel zu lange unterwegs.“Und, vielleicht noch wichtiger: Gierse ist zwar Mitglied der „Stadt-Land-Genossenschaft“, einem regionalen Lieferverbund einer Gruppe ökologisch wirtschaftender Bauernhöfe. Nur: Da die Höfe ihre Produkte alle auch selbst vermarkten, liefern sie den Naturkostläden nicht immer ihre erste Wahl. Kleiner Einkaufs-tip am Rande: Biogemüse vom norddeutschen Bauernhof ist auf dem Wochenmarkt oft erheblich besser und frischer als im Bioladen.

Der ungebrochene Boom bei den Öko-Lebensmitteln geht rücksichtslos über seine Ziehmütter, die kleinen Naturkostläden, hinweg. Es fehlt am gemeinsamen Marketing, an modernen Belieferungskonzepten. Neidisch schaut Gierse auf Strategen wie Thomas Effenberger, die mit aggressivem Marketing und einem eindeutigen Produktprofil aus der Falle der Naturkostszene ausbrechen. Die hingegen ist noch viel zu oft von Eigenbrötlern geprägt, denen es an Kundenorientierung und kaufmännischer Professionalität fehlt.

Uli Gierse wird seinen Laden im kommenden Jahr schließen. Was dann kommt, ist noch ungewiß. Klammheimlich ist der Öko-Mann, der 1991 maßgeblich zur Wiederversöhnung von GAL-Linken und -Realos beitrug, enttäuscht, daß sich von den grünen Wahlsiegern jetzt, als erstmals so richtig Jobs zu vergeben waren, keiner an ihn erinnerte. Kein Senator wollte ihn zu seinem Pressesprecher oder Referenten machen. „Die GAL ist eine große Familie. Wer da nicht ständig mitmacht, hat keine Chance“, resümiert er. Seine Entfremdung zu den grünen Seilschaften von links und rechts ist groß. Bitterkeit klingt da durch. Doch schon hat die Ladentür wieder gebimmelt: „Haben Sie Süßholz-Pulver?“

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