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Die Rückkehr der Psychoramme

Ab 6. Januar zeigt das ZDF dankenswerterweise noch einmal den ganzen „Fitz“ – unbeschnitten. Davor jedoch ist Robbie Coltranes letzter Auftritt als „Fitz“ in Hongkong zu sehen: „Weiße Teufel“ (Do., 21.45 Uhr, ZDF)  ■ Von Harald Keller

„Ich erschrecke vor nichts.“

Dr. Edward „Fitz“ Fitzgerald

„Ich will nicht mit ihm reden“, murmelt der Tatverdächtige gequält. „Ich will nicht mit ihm reden. ICH WILL NICHT MIT IHNEN REDEN!“

Zuvor hat er im Verhörraum Dr. Edward Fitzgerald gegenübergesessen, dem es wie beiläufig gelang, sämtliche Schutzvorrichtungen des mutmaßlichen Mörders außer Kraft zu setzen und ihm mit überlegener Miene die verborgensten Geheimnisse von der Seele zu pfücken.

Dieser Brocken von einem Mann ist Kriminalpsychologe und als Gastdozent nach Hongkong gereist. Daheim in Manchester unterstützt er mitunter die Polizei in schwierigen Fällen, analysiert die Tatorte, erstellt Täterprofile und überführt – oder entlastet – die Festgenommenen. Seine stärkste Waffe ist die Sprache. Er schützt Freundlichkeit vor, mimt Komplizenschaft oder dringt barsch auf sein Gegenüber ein, er kann in einem Maße verletzend werden, daß man gar Mitleid empfinden möchte mit seinem Opfer, das doch, der Zuschauer weiß es längst, mehrere Menschenleben auf dem Gewissen hat.

Sein außerordentliches Einfühlungsvermögen macht Fitzgerald zu einem guten Kriminalisten, erst die Sprache aber gibt ihm Macht, die er weidlich auszunutzen versteht, nicht nur im Umgang mit Straftätern, sondern auch mit Kollegen, Freunden, Familienmitgliedern. Jede Situation, und sei sie noch so peinlich, weiß er durch bissige Kommentare zu meistern. In Verlegenheit gerät er erst, wenn ihm dieses Kontrollinstrument genommen ist. Der Aufenthalt in Hongkong wird für den ansonsten unbeirrbaren Fitz zu einer befremdenden Erfahrung, denn die einheimischen Gesprächspartner entziehen sich ihm, allzeit freundlich dreinblickend, durch den Gebrauch der Landessprache, die der massige „weiße Teufel“ nicht versteht. Ohnmächtig versucht er, den Tort durch eine Kanonade deftigen Schimpfes wettzumachen. Allein das wütende Gepolter verhallt wirkungslos und bleibt ohne Echo. So trollt er sich denn und führt Selbstgespräche im Angesicht der Minibar. Schon jetzt weiß Fitz, daß dieser Vortragsreise ins fremdsprachige Ausland keine weitere folgen wird.

Der angestaute Unmut entlädt sich über einem Tatverdächtigen britischer Herkunft, der mehrerer Morde verdächtigt wird. Die Koryphäe Eddie Fitzgerald wird kurzerhand zu Rate gezogen, denn den Behörden liegt angesichts der heiklen politischen Situation an einer schnellen Auflösung des spektakulären Falls. Hongkong steht kurz vor der Übernahme durch die Volksrepublik China, die Atmosphäre ist gespannt, das britische Gouvernement nervös. Fitz erspürt die günstige Situation und weiß sie umgehend für sich zu nutzen. Die Unterbringung in einem Luxushotel springt für ihn heraus, gute Bezahlung, und dann will er auch noch Detective Sergeant Penhaligon aus Manchester einfliegen lassen. Der Wunsch wird erfüllt, aber statt der anmutigen Jane Penhaligon kommt der begriffsstutzige Chief Inspector Wise, an den jede intelligente Injurie verschwendet ist, was Fitzgeralds Laune nicht gerade bessert. Immerhin findet er in einer örtlichen Kriminalbeamtin, der Hongkong-Chinesin Janet Lee Cheung, eine neue Zielscheibe für seine höhnischen Seelenerkundungen. „Arroganter Besserwisser“, lautet ihre Einschätzung nach der ersten Begegnung. Sie spricht es beiseite, so daß Fitz dieser Anwurf entgeht. Andernfalls hätte er ihr wohl freudestrahlend beigepflichtet.

Faible für die Thespis-Kunst

Der exzentrische Eddie Fitzgerald, nach Meinung seines Sohnes „ein Hit für jedes Comic-Heft“, hat weltweit viele Freunde gefunden, auch in Deutschland, wo bereits sein erstes Auftreten im August 1996 nachhaltigen Eindruck hinterließ. Dies erscheint um so erstaunlicher, als sich der füllige Fitz handelsüblichen Schönheitsidealen verweigert und nicht in jedem Falle mit Sympathie rechnen kann, wenn er mit schneidender Schärfe die Schwächen seiner Zeitgenossen seziert. Obendrein ist er selbst ein psychisches Wrack, ein exzessiver Prasser mit ausgeprägt selbstzerstörerischem Wesen, der vom Tabak und Alkohol nicht lassen mag und im Spielrausch sogar die Existenzgrundlage der eigenen Familie riskiert.

Dieser Charakter trägt hauptsächlich Züge seines Erfinders Jimmy McGovern, schien aber dennoch wie geschaffen für den Schauspieler Robbie Coltrane, der sich stets mit voller Wucht in seine Rollen wirft, ob er auf der Kleinkunstbühne Soloprogramme darbietet, im Nonnengewand Slapstick betreibt oder unter Regisseuren wie Derek Jarman oder Neil Jordan Filmkunst veranstaltet.

Aus Schottland kommend, war Robbie Coltrane zu Beginn der achtziger Jahre zum Umfeld des Londoner Comedy-Clubs The Comic Strip gestoßen. Zuvor hatte er die „Glasgow School of Art“ mit einem Diplom in Malerei und Film abgeschlossen, hegte aber bereits seit der Schulzeit auch ein Faible für die Thespis-Kunst. Er legte seinen Nachnamen Mac Millan ab und tauschte ihn gegen den des Jazzsaxophonisten John Coltrane. Zwischen diversen kunstfernen Jobs drehte er 1973 als Produzent und Regisseur „Young Mental Health“, eine Dokumentation über Glasgower Jugendbanden, die 1973 vom Scottish Education Council zum „Film des Jahres“ gewählt wurde.

Im selben Jahr stand er in einer Produktion der Oxford Theatre Group auf der Bühne und blieb fortan im Metier. Am Traverse Theatre in Edinburgh verbrachte er einige Lehrjahre, ehe er sich mit Beginn des neuen Jahrzehnts nach London verfügte. Er spielte kleinere Filmrollen in Bertrand Taverniers „Death Watch – Der gekaufte Tod“ und in „Flash Gordon“, eine größere in der US-amerikanischen Independent-Produktion „Subway Riders“. Wahren Ruhm aber trug ihm das Fernsehen ein. Regelmäßig war er in den Produktionen des Comic Strip präsent und gastierte wiederholt in den Comedy-Serien „The Young Ones“ und Rowan Atkinsons „Blackadder“.

Hier tummelten sich die jungen Humoristen der „Alternative Comedy“-Schule. Mit einigen von ihnen stand Coltrane in der Serie „Alfresco“ vor der Kamera, unter seinen Mitspielern – einige kennt man hierzulande aus der Kinokomödie „Peter's Friends“ – waren Kapazitäten wie Emma Thompson, Ben Elton, Stephen Fry und Hugh Laurie. 1987 übernahmen Thompson und Coltrane die Hauptrollen der Rock'n'Roll-Sitcom „Tutti Frutti“. Emma Thompson spielte die Sängerin, Coltrane – mit verwegener Schmalztolle und strammen Röhrenhosen – den Gitarristen der Formation The Majestics, seit 20 Jahren unermüdlich unterwegs als „Scotland's Kings of Rock“. Die Serie machte Furore und brachte Coltrane eine Nominierung für das britische Äquivalent zum Oscar, den „BAFTA Award“, ein.

Charakterschauspieler war Coltrane seit je, aber nicht viele hatten ihn so gesehen. Nun häuften sich die reputierlichen Rollen. Er spielte den Falstaff in „Henry V.“ – auch Emma Thompson gehörte wieder zum Ensemble – und diverse Kinohauptrollen. Von der heiteren Reisedokumentation „Coltrane in a Cadillac“ abgesehen, lehnte er Serienengagements vorerst ab, bis ihm 1993 „Für alle Fälle Fitz“ angeboten wurde. Im ursprünglichen Entwurf war die Hauptfigur John Cassavetes nachgebildet und folglich von schmächtiger Gestalt gewesen, doch willigte Fitz-Erfinder Jimmy McGovern gerne ein, als der verantwortliche Produzent Gub Neal den schwergewichtigen Robbie Coltrane für die Hauptrolle vorschlug.

Fitz-Nachfolger in den USA

McGovern war sich sicher, daß die Zuschauer im Falle von Coltranes Mitwirkung der Figur von vornherein positiv begegnen würden. So fand zusammen, was zusammenpaßte. Denn Coltrane gerät in Höchstform, wenn er Figuren in Gang setzt, die mal mehr, mal minder kontrolliert auf der Schneide zwischen Witz und Wahn entlangschlittern, die vor dem Bildschirm für Spannung sorgen, weil man nie weiß, ob sie im nächsten Moment mit munteren Clownerien oder paranoischen Gewaltausbrüchen aufwarten.

Vor seinem Auftreten als Fitz verfügte Coltrane über eine treue Gefolgschaft, diese Serie aber machte ihn zum gefragten Star. Schon die erste von zunächst sieben Episoden erzielte in Großbritannien exzellente Quoten und behauptete sich sogar gegen ein so attraktives Konkurrenzangebot wie „Akte X“. „Für alle Fälle Fitz“ wurde mit Auszeichnungen förmlich überschüttet – selbst in den USA würdigte man die unkonventionelle Produktion mit einem „Cable Ace Award“ – und durch zahlreiche Auslandsverkäufe für die Produzenten zu einem lukrativen Geschäft.

Es war Coltrane selbst, der 1996 einen Schlußpunkt setzte in der berechtigten Furcht, die Serie könne auf Dauer ihr hohes Niveau nicht halten. Doch ist dies nicht das Ende der Fitz-Geschichten. Denn es gibt mittlerweile eine Art kalifornischen Vetter namens Gerry Fitzgerald. Das US-Network ABC hat sich von den Briten eine dem amerikanischen Markt angepaßte Serie maßschneidern lassen, die von Sat.1 bereits angekauft wurde. Auch deren Hauptdarsteller Robert Pastorelli war lange Zeit im komischen Fach tätig; vorrangig kennt man ihn als philosophierenden Malermeister Eldin aus der Qualitäts-Sitcom „Murphy Brown“. Gerry ist auf gleichem Gebiet tätig wie Eddie Fitzgerald und bekommt es anfangs sogar mit sehr ähnlichen Kriminalfällen zu tun, in mancherlei Dingen aber unterscheidet er sich. Und das ist gut so, denn was wäre langweiliger als ein wortgetreues Remake?

Neben Fitz' Hongkong-Gastspiel „Weiße Teufel“ zeigt das ZDF von Januar bis Mai dienstags noch einmal sämtliche Filme der Reihe, einige davon erstmals vollständig, nachdem sie bei der Erstausstrahlung vorsorglich um vermeintlich unzumutbare Szenen beschnitten worden waren.

Hör-CD „Original Soundtrack – Für alle Fälle Fitz (Cracker)“ bei Colosseum (Rough Trade); seit vorgestern für 34 Mark im Handel

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