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■ Nebensachen aus MoskauRussischer Stempel auf die Globalisierung

Dieser Text entsteht auf einem brandneuen Notebook von Toshiba, dem Stellite 210, versehen mit allen nur vorstellbaren Raffinessen. Einziger Nachteil: Die Tastatur als Halbrelikt des untergehenden mechanischen Zeitalters macht, was sie will.

Mal löscht sie unaufgefordert Geschriebenes, mal verfällt sie ins Griechische oder wechselt urplötzlich in die türkische Grammatik, die unendlich viele Bedeutungselemente ohne Zwischenräume aneinanderreiht.

Doch Schluß mit dem Lamento, auf zum Kundendienst! Moskau ist schließlich ein High- Tech-Mekka. Das 21. Jahrhundert hat hier vorfristig eingesetzt. Der technologische Rückstand der Sowjetunion im zivilen Bereich machte das möglich, weil es nichts gab, was sich hätte noch amortisieren müssen.

Zwei Tage ziehen ins Land, um die richtige Telefonnummer der Firma zu ermitteln. Weder Toshibas Worldwide noch European Service kennen sie. Nach Landesbrauch setzt der schließlich aufgespürte Service-Yuppie die mürrische Arbeitsmaske aller Dienstleistenden auf, sagt „machen wir nicht“ und dreht ab. Das Ritual fordert nun vom Kunden einen Kniefall und ein halblaut geschluchztes „Aber warum...?“, woraufhin die Phantasie des Personals zu sieden beginnt.

Lieferschein und Rechnung mit dem internationalen Garantievermerk hätten in Rußland keine Gültigkeit, argumentiert der Kundenbetreuer. Ein Schreiben des Händlers müsse vorgelegt werden. Nach vier Stunden und 100 Stadtkilometern liegt das verlangte Dokument in Englisch vor. Der Jüngling bewahrt die Contenance: „Nun gut, aber ohne die Zustimmung der Zentrale in Singapur können wir trotzdem nichts tun, und außerdem... die Zeitverschiebung.“ Vor Dienstag – es ist Donnerstag abend – sei keine Antwort zu erwarten.

Auch am Dienstag hat sich noch nichts getan, doch hat der schöpferische Geist übers Wochenende gearbeitet. Der mitteleuropäische Händler sei nicht autorisiert gewesen, eine Garantie auszustellen. Also erübrigte sich die Nachfrage – Komplexitätsreduktion à la russe.

Das Maß war voll, und Toshiba Europe intervenierte in Singapur. Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon. Die bemüht neutrale Stimme des Kundendienstlers simuliert ordnungsgemäße Abwicklung: morgen mit dem Gerät vorbeischauen, gerade so, als wäre nichts geschehen (war es ja auch nicht). Vor Ort nimmt er mir den Computer aus der Hand und meint seelenruhig: „In einer Woche nachfragen...“ MC Electronics muß die Tastatur erst anfordern – in Singapur! Globalisierung versetzt in Moskau niemanden mehr in Panik. Vielmehr herrscht die tiefe Überzeugung, dem globalen Prozeß ließe sich der eigene Stempel aufdrücken: Noch scheiterte jeder Eroberer an der unendlichen Weite des Landes. Auch die kürzlich gegründete „Schule des Lächelns“ für Angestellte mit Kundenberührung bleibt da ein Tropfen auf dem heißen Stein. Der Rücktransport der defekten Tastatur nach Singepur wird dem Hilfesuchenden mit 50 Dollar in Rechnung gestellt. Ein letzter Versuch, den Störenfried in die Flucht zu schlagen... Klaus-Helge Donath

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