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Kaum Felder der Zerrissenheit

Auf dem Länderrat der Grünen am vergangenen Wochenende in Erfurt ging es weitgehend harmonisch zu. Unverändert umstritten ist Frage von Militäreinsätzen  ■ Aus Erfurt Dieter Rulff

Erfurt (taz) – Heute feiern die Bündnisgrünen unter dem Motto „18 Jahre und kurz vorm ersten Mal“ ihre Volljährigkeit. Und damit es gleich beim ersten Mal klappt mit der Regierungsbeteiligung in Bonn, verströmt die Partei seit wenigen Monaten eine Aura des Konsenses selbst auf den Feldern, auf denen die Zerissenheit traditionell groß ist. Ein solches „Feld der Zerissenheit“ macht das Mitglied des Bundesvorstandes Fritjof Schmidt in der Außen- und Verteidigungspolitik aus, dort, wo nach seiner Ansicht wirkliche Grundwertekonflikte ausgetragen werden.

Doch auch die Austragung dieses Dissenses auf dem Länderat, der am Wochenende in Erfurt die Diskussion des Wahlprogrammes fortsetzte, wurde von allen Seiten, von Joschka Fischer wie von Jürgen Trittin, mit dem Hohenlied auf die breite programmatische Gemeinsamkeit untermalt.

Für Mißklänge konnten in Erfurt allenfalls die Auseinandersetzungen um Militäreinsätze sorgen. Denn bereits im Vorfeld des Länderrates hatte der Bundesvorstand die „Auflösung der Nato“, die parteiintern heftige Proteste hervorgerufen hatte, in eine „Ablösung“ verwandelt. An der Ablehnung militärischer Kampfeinsätze hält der Bundesvorstand jedoch fest. Man wolle, so Schmidt in Erfurt, die UN davon abhalten, sich zu militarisieren.

Nun muß die Bundestagsfraktion der Grünen im Sommer im Bundestag über einen Sfor-Folgeeinsatz in Bosnien abstimmen. „Keiner würde verstehen, wenn wir nicht zustimmen“, da ist sich der Abgeordnete Helmut Lippelt sicher. Eine Zustimmung würde allerdings womöglich Streit in der Partei provozieren, sollte es bei der Wahlprogrammaussage bleiben.

Nach den Beratungen des Länderrates deuten sich nun zwei Auswege an, die in Erfurt allerdings nicht abgestimmt wurden. Die eine Möglichkeit eröffnete der Bundestagsabgeordnete Winni Nachtweih, der schlicht erklärte, der Einsatz in Bosnien sei „im Kern friedenserhaltend“. Eine solche Interpretation deckt sich zwar nicht unbedingt mit den UN- und Nato-Beschlüssen zu Bosnien, würde aber Programmlage und Abstimmungsnotwendigkeit in Einklang bringen. Lippelt nannte so was einen „Etikettenschwindel“, denn es sei klar, daß geschossen würde, wenn etwas schiefginge in Bosnien. Er präferiere die Position, die der baden-württembergische Landesvorstandssprecher Reinhard Bütikofer in die Debatte einbrachte. Danach soll in das Programm die Formulierung aufgenommen werden, „der robuste Einsatz politischer und militärischer Mittel in Bosnien hat entgegen vielen Befürchtungen nicht zur Eskalation geführt und wird von der Bevölkerung nach wie vor begrüßt“. Aber er alleine gewährleiste nicht einen tragfähigen Frieden. Eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an einem weiteren Einsatz bleibe deshalb „ein schwieriger und immer wieder neu zu entscheidender Einzelfall“.

„Wenn wir alle Einzelfälle ins Programm aufnehmen, kommen wir in Teufels Küche“, begründete Trittin wiederum seine Vorbehalte gegen Bütikofers Vorschlag, den dieser auf dem Bundesparteitag im März zur Abstimmung stellen will.

Dort werden auch die 90 Prozent des Programms beschlossen, die Fischer wie Trittin bereits jetzt im Konsens sieht. Dazu gehören die Erhöhung des Benzinpreises auf fünf Mark, die Sonderabgabe für Millionäre, die Ablehnung der Gentechnologie.

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