: Immer als weiblicher Ahasver gefühlt
■ Prag war immer das Zentrum ihrer Wünsche und ihres Schreibens. Aber Heimat wollte sie dennoch nur "mit schiefem Mund" aussprechen. Im vergangenen Herbst erhielt sie den Masaryk-Preis von Vaclav Havel.
Die präzisen, nüchternen Lebensdaten lesen sich in ihrer sauberen Arithmetik wie ein Symbol ihres Lebens zwischen den Welten: Exakt die Hälfte verbrachte Libuše Moniková in ihrem Geburtsort Prag, die andere Hälfte in Deutschland, der fremden Heimat. 1945 wurde sie in Prag geboren. Nach dem Studium der Anglistik und Germanistik promovierte sie 1970 bei Eduard Goldstücker über Brechts Bearbeitung von Shakespeares „Coriolan“. 1971 mußte sie – nach dem Scheitern des Prager Frühlings – ihre Stadt verlassen und ging nach West-Berlin. Hier wurde Libuše Moniková zur Schriftstellerin, hier ist die Döblinpreisträgerin von 1987 und Berliner Literaturpreisträgerin von 1992, wie gestern bekannt wurde, am Montag im Alter von 52 Jahren gestorben. Im vergangenen Jahr hatte sie sich einer schweren Kopfoperation unterziehen müssen.
Den Begriff der Heimat, so sagte die Exilantin einmal in einem Interview der österreichischen Zeitschrift Falter, halte sie eigentlich für „obsolet“. Und doch bekannte sie zugleich, daß Prag für sie immer anwesend sei: „Prag ist für mich die Stadt, ich kenne keine schönere, auch wenn sie total verpestet ist.“ Erst in den letzten Jahren ihres Lebens war sie jedoch wieder in Prag zu Besuch, wagte sich dorthin zurück, wo sie einst hinausgedrängt wurde. Im vergangenen Herbst hatte ihr der tschechische Staatspräsident Václav Havel am Tag der Republikgründung am 28. Oktober die Masaryk- Madaille verliehen. Die letzte Veröffentlichung Monikovás, die Erzählung „Verklärte Nacht“, beschrieb eine fiktive Rückkehr nach Prag: Die Leiterin eines Ballettensembles kehrt nach 20 Jahren Abwesenheit in eine völlig veränderte Stadt zurück.
Die Zögerlichkeit der Wiederannäherung, das Nicht-hinweggehen-Können über alte Verletztheiten, das Beharren auf Aufarbeitung der Geschichte und die Idiosynkrasie gegen ein stillschweigendes Übergehen zur Tagesordnung, die sie mit vielen Dissidenten teilte, zeigte sich an ihrem Agieren im PEN-Club, den sie im Dezember 1996 verließ, als dort die Entscheidung zur Vereinigung mit dem ostdeutschen PEN nicht mehr aufzuhalten war. Diesen Weg mitzugehen, die Auseinandersetzung mit stasibelasteten Kollegen zu suchen, war ihr nicht möglich. Sie fühlte sich zeitlebens als ein „weiblicher Ahasver“, ohne Aussicht auf ein Leben ohne Gefährdung, und ihre Antwort war eine Ästhetik des Widerstands, die sich nicht mehr wie bei Peter Weiss in Hermetiken, sondern in der Preisgabe ästhetischer Einheit entlud.
Ihre Bücher schrieb sie auf deutsch, diese Sprache wurde ihr zum „Produktionsmittel“ – und schon deshalb konnte sie nach 1989 nicht so einfach wieder zurück. 1981 war die erste Erzählung erschienen: „Eine Schädigung“, die Geschichte einer Vergewaltigung, bei der das Opfer, die Studentin Jana, ihren Peiniger, einen Polizisten, tötet. Es ist eine Geschichte über polizeiliche Willkür und staatliche Überwachung, ein in spröder, kalter und metaphernloser Sprache gehaltener Bericht über ein Klima des Mißtrauens und latenter Gefahr. Diese Erzählung hatte sie noch auf tschechisch begonnen, konnte sie aber erst in der deutschen Sprache, die ihr die nötige Distanz gab, zu Ende bringen. „Ich möchte die Sprache niemals duzen und hoffe, daß sie auch niemals zurückduzt“, sagte Moniková über dieses produktive Verhältnis der Fremdheit.
In „Pavane für eine verstorbene Infantin“ (1983) setzte sie sich literarisch mit der Exilsituation auseinander und schildert den Weg einer Ich-Erzählerin mit vielen autobiographischen Zügen aus „der lethargischen Trauer einer ganzen Nation“ in die „Fremdheit des Exils“. Wie Moniková selbst hält auch ihre Erzählerin Seminare über Kafka, Arno Schmidt und Frauenliteratur und ist durchzogen von Erinnerungen an Prag und böhmische Legenden. Die Verletzungen und Lähmungen der Erzählerin erfahren einen ganz plastischen Ausdruck: Ein Hüftleiden zwingt sie in den Rollstuhl, den sie am Ende in einer rituellen Selbstbefreiung verbrennt.
Internationale Bekanntheit erlangte Moniková mit ihrem dritten Roman, „Die Fassade“ (1987), der als intelligenter, tiefsinniger und spielerischer Schelmenroman gelobt wurde. Das wichtigste Buch war aber vielleicht ihr letzter Roman, „Treibeis“ (1992). Die Kältemetaphorik, die ihn durchzieht, ist erneut als Beleg für die Erfahrung der Entfremdung gelesen worden. Der Englischlehrer Jan Prantl kehrt von Grönland aus nach Europa zurück und rettet in den österreichischen Bergen eine an die Felsen gekettete Frau vor einem Greif.
Die skurrile Liebesgeschichte, die sich anschließt, ist ein Spiel mit der Mythologie, eine Neufassung des Prometheus-Stoffes. Bei der geretteten Frau handelt es sich um das tschechische Stuntgirl Karla. Mit ihr reist Jan nach Italien, und doch sind beide immer auf der Suche nach Prag, dem Ort, um den sich alles dreht, den Jan 1948 und Karla 1969 verlassen hat. Er ist das eigentliche Zentrum auch dieses Textes Monikovás, ihr Fokus der zerrissenen europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie gelangten, heißt es am Ende des Romans, „an den Punkt, wo jeder ein anderes Land vor sich hat, das sie Tschechoslowakei nennen, mit schiefem Mund auch Heimat“. Und darauf kam es Libuše Moniková an, wenn sie den Begriff benutzte: auf den schiefen Mund. Jörg Magenau
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