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„Ein echter Nervenkitzel“

25jähriger drohte 15 Flughäfen, mit einem ferngesteuerten Modellflugzeug eine Passagiermaschine in die Luft zu jagen  ■ Von Lisa Schönemann

Die Idee entstand an einem sonnigen Februartag auf einer Dachterrasse im Hamburger Elbvorort Nienstedten: Ein 25jähriger Träumer starrte in den Himmel und überlegte laut, „wie man so ein Flugzeug zum Absturz bringen könnte“.

Mit 60.000 Mark Schulden aus einer selbständigen Kapitalanlagenvermittlung, 4000 Mark Miete und monatlichen Autoleasingraten von 2500 Mark war die Situation des nunmehr arbeitslosen Bank-kaufmanns alles andere als rosig. Als sein Freund gegangen war, formulierte er probehalber einen Erpresserbrief. Wenig später setzte der dem Luxus verfallene Cabriofahrer „das Hirngespinst“in die Tat um. Seit gestern muß sich der Kaufmann vor dem Hamburger Landgericht wegen versuchter räuberischer Erpressung verantworten.

Zu Anfang war es nur ein Spiel. 15 deutsche Flughafenbetreiber erhielten im März 1997 Post – angeblich von einer „politisch motivierten paramilitärischen Organisation“. In den Briefen wurde gedroht, eine vollbesetzte Passagiermaschine mit Hilfe eines sprengstoffbeladenen Modellflugzeugs zum Absturz zu bringen. Je nach Verkehrsaufkommen sollten die Flughafengesellschaften zwischen einer und zehn Millionen Mark zahlen – insgesamt 53 Millionen Mark.

Gleichzeitig weihte der junge Mann den Bundesverkehrsminister ein. Der sollte das Geld einsammeln. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) schaltete der Kaufmann selbst ein: „Das war so 'ne Art Herausforderung, ein echter Nervenkitzel.“

Fortan kommunizierte er mit dem BKA nur noch per e-mail. Dafür hatte er sich bei einem amerikanischen Provider anonym eine Mailbox einrichten lassen. Am 10. April sollte die Übergabe stattfinden. Das Geld sollte, in drei Kartons verpackt, an drei Arztpraxen in Hamburg, München und Berlin geliefert werden. Daß aus dem virtuellen Spiel Ernst geworden war, will der Bankkaufmann erst gemerkt haben, als das BKA die Hamburger Praxis umstellte, in der die Ehefrau des Angeklagten beschäftigt war.

Der ultimative Kick blieb aus; statt dessen erklärte er die Geldübergabe für gescheitert und setzte eine neue Frist. Drei Tage später wurde er wegen seiner üppigen Steuerschulden festgenommen – dabei kam auch sein fehlgeschlagenes Erpressungsmanöver ans Tageslicht.

„Ich wußte sowieso nicht, was ich weiter hätte machen sollen“, beteuerte der Angeklagte gestern. Er sei handwerklich wenig geschickt. Vor Jahren habe er ein Modellsegelflugzeug gebastelt, das nach sieben Metern zu Boden gefallen sei.

Bei dem Träumer, der gestern aus Sicherheitsgründen mit Fußfesseln vorgeführt wurde, ist in der langen Untersuchungshaft der Groschen gefallen: „Es war wohl eine ziemlich massive Drohung“, sagte er. Nach einem Motiv brauchte der Vorsitzende Richter nicht weiter zu forschen. „Bei Ihrem Lebensstil schmolz das Geld wie Butter in der Sonne, und Sie standen vor einem Scherbenhaufen.“Der dürfte jetzt noch etwas größer geworden sein. Das Strafmaß für räuberische Erpressung beginnt bei fünf Jahren Haft.

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