Nahrungsmittel madig machen verboten

Die Talkmasterin Oprah Winfrey steht in Texas vor Gericht. Sie soll in ihrer Show Rindfleisch verunglimpft haben  ■ Von Peter Tautfest

Washington (taz) – „Iiih, das ist eklig, das schmeckt nicht, das eß' ich nicht“, solche Reden bei Tisch zu verbieten ist guter Brauch, und dagegen ist nichts einzuwenden. Aus Tischmanieren aber Gesetze zu machen, die jeden unter Strafe stellen, der „verderbliche Nahrungsmittel madig macht“, dürfte problematisch sein und gegen den Grundsatz der freien Rede verstoßen. In Amerika gibt es in 13 Bundesstaaten solche Gesetze dennoch. Eines von ihnen wird nun in Texas seinem ersten Test vor einem ordentlichen Gericht unterworfen.

Gestern begann in der Stadt Amarillo im Herzen der texanischen Rinderlandschaft die Auswahl der Geschworenen für ein zunächst skurril anmutendes Verfahren: Texas Cattlemen gegen Oprah Winfrey. Es geht um Rindfleisch, das die Talkshow-Gastgeberin aus Chicago beziehungsweise einer ihrer Gäste madig gemacht haben soll.

Oprah Winfrey ist für Amerika, was Lea Rosh einst für die deutsche Fernsehgemeinde war. Sie packt gerne heiße Eisen an und redet nicht um den heißen Brei. Am 16. April 1996 war Howard Lyman bei ihr zu Gast, ein ehemaliger Rancher, der heute Vegetarier und Angestellter des amerikanischen Tierschutzvereins ist. Er behauptete, daß jährlich in Amerika 100.000 verendete Rinder oder 14 Prozent des amerikanischen Herdenbestandes zermahlen und als Kraftfutter an noch lebende Artgenossen verfüttert werden. Nur ein einziges dieser Tiere müsse vom Rinderwahnsinn (BSE) befallen sein, um potentiell eine Katastrophe auszulösen, „eine Epidemie, an deren Ausmaßen gemessen Aids sich wie eine Grippewelle ausnehmen werde“.

Das war starker Tobak, denn diese Talkshow fand kurz nach dem Eingeständnis der britischen Regierung statt, daß die neu in England bekanntgewordenen Fälle der Creuzfeldt-Jakob- Krankheit vom Verzehr BSE-infizierten Rindfleischs verursacht worden sein könnten. Ein amerikanischer Glaubenssatz geriet ins Wanken: Auch im Steakparadies Amerika ist BSE möglich. Die amerikanischen Rindfleischpreise sollen nach dieser Sendung dramatisch gefallen sein – Grund genug für eine Reihe von Ranchern, eine Klage wegen Verletzung des Gesetzes gegen das Madigmachen von Nahrungsmitteln anzustrengen.

Zu den sogenannten „Food Disparaging“-Gesetzen kam es nach dem Alar-Skandal der 80er Jahre. Alar ist ein Wuchshemmer, der die Reifung von Äpfeln hinauszögert, wodurch die Früchte besser aussehen und länger haltbar sind. Das Zerfallsprodukt von Alar geriet in den Verdacht, krebserregend zu sein. 1989 strahlte CBS eine Sendung über Alar aus und wies Spuren der Chemikalie in Kindernahrung und Apfelsaft nach. Der Natural Resources Defense Council (NRDC) startete zusammen mit der Schauspielerin Meryl Streep eine Kampagne gegen Alar. Die großen Apfelproduzenten setzten die Verwendung von Alar ab, strengten aber gegen CBS und NRDC einen Prozeß an. Sie behaupteten, 100 Millionen Dollar durch die Kampagne verloren zu haben. Sie verloren den Prozeß. „Wir gewannen die Schlacht, aber verloren den Krieg“, sagt der NRDC heute.

Denn die Reaktion der Nahrungsmittelindustrie war die Durchsetzung der Gesetze gegen das Madigmachen von Nahrungsmitteln. „Nach diesen Gesetzen darf eigentlich nicht mal mehr die Bibel verbreitet werden, die den Verzehr des Fleisches von Tieren mit gespaltenem Huf und Fischen ohne Schuppen untersagt“, ereifert sich Reginald James, Leiter der Konsumentenvereinigung des Südwestens. „Schlimmer“, erklärt Elliot Mincberg, ein Verfassungsrechtler, „Universitäten werden künftig Wissenschaftler und Studenten davon abhalten, Forschungsergebnisse über Pestizide oder Futterzusätze zu veröffentlichen, aus Angst, die Nahrungsmittelindustrie könnte sie mit Schadenersatzklagen überziehen.“

Der jetzige Prozeß ist mehr als eine amerikanische Skurrilität. Man erinnere sich an den sogenannten McLibel-Prozeß, in dem McDonald's gegen zwei britische Aktivisten klagte, die behauptet hatten, Hamburger seien ungesund und ihre Herstellung umweltschädlich. Ein Londoner Gericht verurteilte die beiden am 19.Juni vergangenen Jahres zu 96.000 Dollar Strafe. Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie sind heute hochorganisierte multinationale Konzerne, die sich vor Kritik an ihren Produktions- und Vermarktungsmethoden und vor den Auswirkungen solcher Anwürfe schützen wollen.

Seit Sommer vergangenen Jahres ist das Verfüttern von Tiermehl an Pflanzenfresser auch in Amerika verboten. Merke: „Du mußt nicht Vegetarier sein, aber die Tiere, die du ißt, sollten es sein.“