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Niemand kauft 50 Tonnen Wurst

■ Lieferverträge zwischen Herstellern und Handelsketten werden auf der Grünen Woche kaum abgeschlossen: Keine landwirtschaftliche Ordermesse, sondern eine Verbraucherschau

Wilhelm Meyer läuft der Schweiß in den weißen Kittelkragen. Eine eingeschweißte Mettwurst nach der anderen reicht er über den Tresen des nordrhein- westfälischen Standes auf der Grünen Woche. Bei seinen Reisen durch deutsche Lande verhandelt Meyer normalerweise mit den EinkäuferInnen großer Handelsketten über die Lieferung Hunderter Tonnen Wurst und Fleisch, macht sich Gedanken über Sortimente und Marketing. Während der Verbrauchermesse in Berlin jedoch hat er es fast ausschließlich mit den KonsumentInnen zu tun. Und die lassen ihm den ganzen Tag keine Ruhe – die Würste der Lippischen Fleischwarenfabrik erfreuen sich ausgesprochen großer Beliebtheit und finden reißenden Absatz.

„Nur ein Einkäufer einer großen Handelskette war bisher an unserem Stand“, sagt Meyer. Doch im Gespräch mit ihm ging es nicht um neue Verträge. Der Besuch diente lediglich der Kontaktpflege. Wurstvertreter Meyer: „Wir haben ein Bierchen getrunken.“ Und über den Urlaub geplaudert – lockere Vorbereitung für spätere ernsthafte Gespräche, bei denen dann wieder Mark und Pfennig im Mittelpunkt stehen.

Nach wie vor erfüllt die Grüne Woche für die Firmen vor allem einen Zweck: Sie präsentieren ihre Produkte den KonsumentInnen, betreiben Imagepflege für eingeführte Waren oder versuchen, für neue Lebensmittel eine Nachfrage zu schaffen. Der Aspekt der Fachausstellung, bei der Hersteller und Händler Verträge miteinander abschließen, spielt nach Auskunft der allermeisten Firmenvertreter keine Rolle.

Um angesichts rückläufiger Besucherzahlen die Bedeutung der Grünen Woche herauszustreichen, „muß die Messe GmbH an der Fiktion der Fachmesse festhalten“, meint Walter Hermes vom Landwirtschaftsministerium in Düsseldorf. Der Organisator des NRW- Standes meint: „Hier kommt niemand vorbei, der 50 Tonnen Fleisch ordern will.“ Ganz im Gegenteil seien die Märkte zwischen den sechs großen Handelsketten Metro, Spar, Rewe, Edeka, Aldi und Tengelmann sowie ihren Lieferanten aufgeteilt. Wenn Bauern oder ihre Vermarktungsorganisationen zusätzliche Produkte in die Supermarktregale bringen wollten, „lassen die Handelsketten bitten“, so Hermes. Der Hersteller müsse dann schon zur Verhandlung in der Zentrale des Händlers anreisen. Außerdem gibt es eingeführte Fachmessen für die Lebensmittelbranche, bei denen häufiger Verträge abgeschlossen werden. Eine davon ist die Anuga in Köln.

Auch Paul Jost, Geschäftsführer einer Import-Export-Firma für Nahrungsmittel aus Rußland, glaubt nicht, daß er in Berlin Abschlüsse tätigen kann. Während er am Stand der Schokoladenfabrik Azart aus St. Petersburg saß, kam zwar der Einkäufer von Spar vorbei. Doch über die Beschreibung des Sortiments, den Austausch von Visitenkarten und die Erkenntnis, daß die Preisvorstellung der potentiellen Verkäufer und Käufer zu weit auseinanderlagen, ging das Gespräch nicht hinaus.

„Die Bevölkerung Ostdeutschlands und auch die Aussiedler kennen unsere Waren schon“, merkt der Besitzer der Schokofabrik noch an. Auch hier: Die Firma hat die KonsumentInnen fest im Blick und möchte sich bei ihnen in Erinnerung bringen.

Obwohl die Funktion der Ordermesse fest in anderen Händen liegt, versucht die Messe GmbH, bei der Grünen Woche den Aspekt der Fachveranstaltung in den Vordergrund zu rücken, die zunehmend Spezialisten anspreche. Michael Hofer, Sprecher der Messe GmbH verweist auf die Zahl der FachbesucherInnen, die 1997 gegenüber dem Vorjahr um 40.000 auf 115.000 gestiegen sei. Wer jedoch als „Fachbesucher“ gilt, und wer nur als normaler Besucher, läßt die Messe durch eine repräsentative Umfrage während der grünen Woche ermitteln. Grundlage für die Einteilung ist dabei lediglich die Selbsteinschätzung der befragten Personen. Walter Hermes vom Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium schätzt denn auch, daß auch viele der sogenannten „FachbesucherInnen“ weniger wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Veranstaltung anreisen, sondern vor allem die Kongresse und Symposien am Rande der Grünen Woche nutzten, um politische Gespräche zu führen.

Auch der von der Messe dieses Jahr eingeführte „Fachbesuchertag“ kann kaum als Beleg für eine stärkere Funktion als Fachmesse herhalten. Zwar soll der höhere Eintrittspreis von 24 Mark gegenüber den sonst üblichen 20 Mark die normale Laufkundschaft für einige Stunden fernhalten, doch andere Auswahlkriterien am Eingang, die den Händlern Ruhe bescheren könnten, gibt es nicht. Hannes Koch

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