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■ Die Angst vor dem geklonten Menschen ist eine kulturelle Projektion. Und was der Klon leisten soll, tut heute schon die EugenikDer Klon und unsere Angstlust

Die Lust am Menschenklonen ist vermutlich noch nicht weit verbreitet. Sie könnte sich jedoch bald vermehren. Die Groß- und Kleinpolitiker, die nun allwöchentlich die Öffentlichkeit mit den Beteuerungen ihres Abscheus überschütten, machen geradezu darauf neugierig. Diese Aufregungen, auch der Medien, sind kosten- und folgenlos, und mit Gesetz und Verbot kommt man dieser Biotechnik ohnehin nicht bei. Aber sie entstammen dem feinen Gespür dafür, daß das in Sachen Biotechnologie und Eugenik ignorante Publikum hier an seinem empfindlichsten Punkt zu treffen ist: an der Lustgier der Authentizität, die der heutige Mensch als Eigentümer seiner selbst seine Identität nennt.

Die Vorstellung vom Klon erzeugt Panik, weil sie dem Identitätswahn, der ja erst auf die Idee vom Klon gebracht hat, nun seine bedrohliche Konsequenz vor Augen führt. Man könnte vielleicht nicht mehr allein und nur für sich dasein. Das wissen die Politiker, die Medienmacher und auch viele Berufsethiker nicht. Aber sie merken, daß sich auf der Identitätsklaviatur trefflich spielen läßt. Das lustvolle Schaudern des Publikums vor dem Klon gibt ihnen recht.

Das Interesse am Menschenklon wird sich demnächst schon deswegen verlieren, weil seine wichtigste Rechtfertigung entfallen wird: er müsse angesichts einer Unfähigkeit zur Fortpflanzung als ein Ersatz montiert werden, der weiterhin die Erzeugeridentität aufrechterhält. Das kann man schon heute und demnächst noch besser auf andere Weise haben.

Dem menschliche Klon würde weit weniger Aufmerksamkeit zuteil, wenn sich die Leute darüber im klaren wären, daß dies nur der Extremfall in der bereits eingetretenen Normalität der neuen Eugenik ist. Man braucht sich nur die Börsenkurse der pharmazeutischen Industrie und die Investitionen in die Biotechnologie anzusehen, um eine Ahnung davon zu bekommen, auf welch breiter Front die Diagnose- und Therapieangebote der prädikativen Medizin demnächst daherkommen werden. Jetzt sind insbesondere die Erträge aus dem Humangenom-Projekt einzusammeln, das vermutlich in fünf Jahren seinen Abschluß finden wird. Die Beseitigung von genetisch bedingten Defekten, und als solche sind bereits zahlreiche Massenkrankheiten geortet, kann mit einer kaum begrenzten Nachfrage rechnen. Auf ihr haben sich bereits die Fortpflanzungsmedizin und die Transplantationsprothetik breitgemacht – alles in allem eine Großtechnologie, die an 100 Ecken und Enden die teure Natur- identität annagt. Davon bekommen die Öffentlichkeiten in den reichen Gesellschaften, die sich den Luxus der prädikativen Medizin leisten können, zwar alltäglich einige Brösel vorgesetzt.

Aber das Publikum kann den Zusammenhang nicht sehen, ebensowenig die Politiker und die Bürokratien, die für rechtzeitige Aufklärung sorgen müßten – daß nämlich Eugenik, die demnächst bis zur Korrektur des menschlichen Genoms reichen wird, längst keine Zukunftsdrohung mehr ist, sondern greifbare Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit wollen sich weder die schon bereitstehenden Nachfrager noch die Politiker eingestehen. Es wäre schlechthin zu anstrengend, eine unerträgliche Zumutung. Denn die verbreitete Praxis der neuen Eugenik, die sich auch die demokratische Zustimmung der Patienten stützen kann, wird allzu viele Institutionen in Frage stellen, von der Familie bis zur Krankenversicherung.

Der Menschenklon ist heute vor allem der Ausdruck eines Unbehagens in der Kultur, das sich an der technischen Projektion festmacht, um Ohnmachtsgefühle gegenüber fremdgesteuerter Manipulation zu illustrieren. Dabei kann man, vor allem in Deutschland, auf die literarische Doppelgängerphantasie zurückgreifen, die ja ebenfalls eine Angst- und Verlustphantasie war. Der romantische Doppelgängertick lebt noch fort in den Beschwörungen der unantastbaren und einmaligen Gottesebenbildlichkeit des zufallsgeborenenen Individuums, mit denen vor zwei Jahrzehnten schon der Philosoph Hans Jonas den Klon dämonisierte. Der Humanist mißtraute einfach der ganzen Menschlichkeit des Klons.

Ein wenig davon scheint noch in der Sorge von Jürgen Habermas zu stecken, das Kopieren der Erbsubstanz im Klon zerstöre „eine Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln“ (Süddeutsche Zeitung, 17.1.98). „Der Klon ähnelt dem Sklaven insofern, als er einen Teil der Verantwortung, die er sonst selbst tragen müßte, auf andere Personen abschieben kann. Für den Klon verstetigt sich nämlich in der Definition eines unwiderbringlichen Kodes ein Urteil, das eine andere Person vor seiner Geburt über ihn verhängt hat“, so Habermas.

Und das wäre der Unterschied zum zufallsgezeugten Menschenprodukt, das sich ja ebenfalls einem Urteil, einer Entscheidung von Genombesitzern und damit Fortpflanzungsherrschern verdankt, gegen die es keinen Einspruch gibt? Vielleicht mißversteht man den Klon, wenn man ihn nicht als freie und eigene Person denken kann, sondern nur in sklavischer Nachahmung seines Genomgebers und somit Tyrannen. Doch wird der Klon, sofern er als selbstorganisierte Einheit überlebensfähig ist, seinem Genom-Elter bald nicht mehr gleich, sondern nur noch ähnlich sehen. Er kommt ja in einer anderen Zeit auf die Welt als sein Genomgeber, muß sich in dieser Zeit neu sozialisieren – und wird sich vermutlich wie alle Normalgeborenen darum bemühen, Differenz zum Elter zu beweisen. Er wird also, anders würde er gleich wieder krepieren, eine Autonomie des selbstverantworteten Handelns suchen. Und die beginnt in der Regel mit dem Protest gegen die Erzeuger. Er wird beim Klon vielleicht ein paar andere Wege suchen müssen, aber er kann ebenso radikal sein wie bei allen übrigen. Und wer schon kann heute seine Freiheit als einmaliges Individuum aus seiner Zufallsgezeugtheit herleiten?

Weil der Klon eben nicht der prothetische Sklave seines Erzeugers sein kann und weil er zwangsläufig auf eigene Füße kommen, also Individuum sein muß, wird man ihn auch bald tolerieren und ihn ungehemmt betrachten können. Damit wird er sich als Angstgespenst einer Kultur, die ihre Leere der manipulierenden Technik zu Last legt, schlechthin erübrigen. Es könnte ja sehr reizvoll sein, einen Klon zu haben und seine wachsende Entfernung vom eigenen Schöpferdiktat zu betrachten – ein durchaus humane Vision. Nun wird man eben demnächst den Klon überhaupt nicht mehr nötig haben. Das wäre fast schade. Claus Koch

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