piwik no script img

Der neugestylte Konzern

Unternehmenschef Dorman baut um: zu Lasten der Arbeitsplätze und zum Nutzen der Aktionäre. Dagegen protestieren selbst Teile der CDU  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – So hatte die CDU sich das nicht vorgestellt. Da demonstrierte die Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main, Petra Roth (CDU), Solidarität mit den Beschäftigten von Hoechst Marion Roussel (HMR). Seit an Seit mit der Spitze der IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) schritt der neue CDU-Landesvorsitzende in Hessen, Roland Koch. „Dormann weg!“ stand auf einem Pappschild, unter dem sich die Christdemokraten versammelt hatten.

Mit Jürgen Dormann, dem Vorstandsvorsitzenden der Holding Hoechst AG, ging der 39jährige Koch hart ins Gericht: „Gerade angesichts beachtlicher Gewinne hat ein Unternehmen wie Hoechst auch eine soziale Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern und deren Familien.“ Schließlich hätten die Angestellten oft über Jahre hinweg für die Firma gearbeitet. Doch Dormann will den Konzern umbauen. Hoechst soll zu einem reinen „Lifestyle-Science“- Unternehmen werden, mit starker Pharma- und Bio-Technik, inklusive Gen-Tech. Zwar soll es aktuell keine Kündigungen geben, aber durch Umsetzungen, Ruhestands- und Vorruhestandsregelungen standen allein bei HMR in der vergangenen Woche 600 Arbeitsplätze zur Disposition.

Daß Konzernchef Dormann ausgerechnet den amtierenden hessischen Ministerpräsidenten und Sozialdemokraten Hans Eichel zuerst wissen ließ, daß es keine betriebsbedingten Kündigungen bei der Hoechst-Pharmatochter HMR geben werde, war für die hessische CDU ein herber Nackenschlag. Die Sonntagszeitung, ein Ableger der FAZ, nahm Dormann dafür rasch in ihre Galerie der „bad guys“ auf. Eine Woche lang habe Dormann den Spekulationen über mögliche Entlassungen freien Lauf gelassen, verkündete das Blatt. „Seine Klarstellung gab zuerst die Landesregierung bekannt. Ob das dem Verständnis für den Konzernumbau gedient hat?“

Hat es. Die Landesregierung rühmt sich nun ihrer „geschickten Geheimdiplomatie“ mit dem Vorstand. Dabei ist der angebliche politische Erfolg tatsächlich nur ein bescheidener. Zwar entläßt HMR zunächst niemanden. Aber mittelfristig wird es jedoch bei HMR in Höchst und in Griesheim mehrere hundert Arbeitsplätze weniger geben. Der weitere Umbau des Konzerns nach der Neuordnung 1997 konzentriert sich auf die rechtlich selbständigen Tochter-GmbHs. Bei ihnen werden radikal Arbeitsplätze abgebaut.

Oder erfolgreiche Tochterfirmen werden gleich komplett verkauft. Aktuell steht Messer Griesheim zur Disposition, eine GmbH mit einem Umsatz von 2.354 Milliarden Mark (1996) – und mit einem prognostizierten Umsatzplus für das Jahr 1997. Die Spezialchemikalien befinden sich bereits zu mehr als 50 Prozent im Besitz der Schweizer Clariant AG.

Konzernchef Dormann weigert sich hartnäckig, die Umwandlung in Richtung eines reinen Lifestyle- Science-Konzern zu kommentieren. Die Strategie sei „nicht ungefährlich“ für den ganzen Konzern, ist hingegen die IG BCE überzeugt. Doch bei der HMR gibt es noch nicht einmal einen mitbestimmten Aufsichtsrat. Keine Chance für die Beschäftigten, Einfluß auf die Unternehmenspolitik nehmen zu können.

460 Millionen Mark weltweit sollen nach dem Willen von Jürgen Dormann allein bei HMR eingespart werden; davon 95 Millionen Mark sind es bei der HMR Deutschland GmbH. Daß es sich bei den Arbeitsplätzen, die Dormann abgebaut sehen möchte, ausgerechnet um Jobs im Forschungs- und Entwicklungsbereich handelt, hat die Landespolitiker und die Betriebsräte zusätzlich schockiert. Dormann habe „die Hand an die Substanz des Unternehmens“ gelegt, echauffierte sich der Christdemokrat Roland Koch. Und die SPD und Bündnis 90/Die Grünen sehen die „Zukunftswerkstatt am Main“ schon vollends geschlossen.

Freuen über den massiven Arbeitsplatzabbau bei HMR können sich nur die Aktionäre. Die Umsatzrendite bei HMR könne bald von 13 auf 20 Prozent gesteigert werden, glaubt Dormann. 13 oder 14 Prozent Rentite seien „gut“ für Hoechst, hatte der Konzernchef schon im vergangenen Jahr erklärt; „aber im Weltmaßstab nicht gut genug“.

Den wahren Maßstab hatte Dormann dann auf der vergangenen Hauptversammlung vorgestellt: „Es ist der Kurs der Hoechst- Aktie, das heißt, die Beurteilung durch den Kapitalmarkt, durch Sie, die Aktionäre.“ Der größte Aktionär von Hoechst ist das Emirat Kuwait.

Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der IG BEC, setzt andere Maßstäbe. Er forderte Dormann am vergangenen Wochenende ultimativ auf, die einseitige Ausrichtung der Konzernpolitik aufzugeben, und statt dessen gemeinsam mit den Betriebsräten eine Perspektive für HMR Deutschland zu entwickeln. „Die verkürzte Sicht, über Kostenreduktion eine Kapitalrendite wie Konkurrenzunternehmen zu erreichen, läßt außer acht, daß diese Unternehmen über große und erfolgreiche Produkte verfügen.“ HMR müsse deshalb seine Produkte auch weiterhin in Deutschland entwickeln können. Sonst, so befürchtet Hubertus Schmoldt, sägt Dormann den Ast ab, auf dem auch er selbst sitzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen