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Pauken im Knast

■ In Haftanstalten können Gefangene Abschluß oder Ausbildung nachholen. Doch nur jeder zweite hält durch. Studenten sind rar

Mahmud wußte, was er wollte. Draußen, in Freiheit, hatte er eine Tischlerlehre begonnen. Ein Jahr der Ausbildung schaffte er, bevor er straffällig wurde. Als der Zwanzigjährige vor vier Monaten in die Jugendstrafanstalt Plötzensee kam, stand für ihn fest, daß er seine Tischlerlehre fortsetzen würde. „Ich liebe Holz“, sagt er. „Ich hätte keine andere Ausbildung machen wollen.“

In Plötzensee standen Mahmud 28 Ausbildungsberufe zur Wahl. Er hätte Maurer werden können und Schlosser, Betonbauer und Maler, Koch und Kfz-Schlosser. „Wir zählen zu den Jugendstrafanstalten mit den meisten Ausbildungsmöglichkeiten“, sagt Gefängnisleiter Marius Fiedler.

Unter den Gefangenen in Plötzensee sind diejenigen mit einer abgeschlossenen Schulbildung die Ausnahme. „Der durchschnittliche Gefangene hat keinen Hauptschulabschluß“, sagt Marius Fiedler. „Wer draußen schon eine Ausbildung angefangen hat, machte sie in der Regel auf dem zweiten Ausbildungsmarkt, im Bereich sozialpädagogisch betreuter Berufsbildungsmaßnahmen.“

Mahmud arbeitete draußen nicht in einem Betrieb. Er konnte nicht genau nachweisen, was er bisher gelernt hatte. Deshalb durchläuft er die gesamte Ausbildung in der Strafanstalt, drei Jahre bis zur Abschlußprüfung. Gut möglich, daß er ein halbes Jahr vor Ende der Ausbildung entlassen wird. Ihm bleiben zwei Möglichkeiten. Er kann sich draußen einen Betrieb suchen und seine Ausbildung beenden. Qder er kann weiterhin nach Plötzensee kommen, dort Berufsschule und praktischen Unterricht absolvieren. Mahmud ist sich sicher, daß er aus der Freiheit täglich ins Gefängnis zur Ausbildung zurückkommen will: „Ich habe damit keine Probleme.“ Seine Ausbilder wissen, daß nur jeder zweite diesen Weg durchhält: Manche rutschen wieder ab, für andere sind die Hemmungen zu groß, täglich freiwillig hinter Gitter und Stacheldraht zu gehen.

Jugendhaftanstalten bieten mehr als andere Gefängnisse. „Während im Erwachsenenstrafvollzug Sicherheit und Betreuung gleichwertig sind, hat bei uns die Erziehung Vorrang“, sagt Marius Fiedler. Aber es gibt genügend Hindernisse auf dem Weg zur abgeschlossenen Ausbildung: Die rund 450 Häftlinge, kaum einer ist unter 18 Jahre alt, bleiben im Schnitt nur eineinhalb Jahre in Plötzensee. Zum anderen ist es bei vielen nicht möglich, sie sofort in die Ausbildung zu schicken. „Häufig fehlen die sozialen Voraussetzungen, die Fähigkeiten, fremdbestimmt zu arbeiten und in angemessener Form Kontakte zu pflegen“, so Fiedler. „Bei vielen fehlt es aber auch an Bildung. Sie beherrschen einfach den Dreisatz nicht oder können nur schlecht schreiben.“ Normalerweise führt ihr Weg dann zunächst in die Schulklasse. 35 Plätze gibt es dort, zur Zeit versuchen sich zwei Schüler am Realschulabschluß. Doch nicht immer gelingt es, die Gefangenen ins Klassenzimmer zu schicken. „Männer gehen nicht zur Schule, Männer arbeiten“ – das ist der Eindruck, den Marius Fiedler vom Ethos seiner Schützlinge hat. Wenn aber Grundkenntnisse da sind, können die Gefangenen in Plötzensee auch ohne Schulabschluß eine Lehre beginnen.

Mahmud ist heute mit der Arbeit an einem Regal beschäftigt. Anders als in vielen Betrieben draußen wird hier darauf geachtet, daß die Auszubildenden selbständig Gegenstände herstellen und nicht nur einen Arbeitsschritt übernehmen. „Wir wollen ihnen möglichst schnell Erfolgserlebnisse verschaffen“, sagt Marius Fiedler. Der Meister in der Tischlerwerkstatt kann in seiner Ausbildung auch Vorteile gegenüber Betrieben der freien Wirtschaft entdecken: „Wir können hier eine qualitative Ausbildung machen. Für uns sind Lehrlinge keine billige Arbeitskraft, der Druck des Marktes fällt weg. Ich kenne Leute, die draußen ein Jahr in der Ausbildung waren und nicht mal zuschneiden konnten.“

Die Gefangenen, die aus der Untersuchungshaft nach Tegel kommen, werden über Ausbildungsmöglichkeiten informiert, über Berufsziele wie Dreher, Fräser, Maler, Lackiererer, Schriftsetzer, Drucker, Tischler, Bäcker. Auch Kurzlehrgänge gibt es, etwa zum Lagerarbeiter oder zum Isolierer. An deren Ende wartet keine Prüfung, sondern eine Teilnahmebescheinigung. Ein Problem gibt es aber wie in allen Gefängnissen, nämlich neue Lehrgänge anzubieten: „Wir sind unbeweglich“, sagt Klaus Strakus, in Tegel zuständig für den Bereich Arbeit: „Wenn wir unsere Werkstätten einrichten, legen wir uns für lange Zeit fest.“

Wer seine Ausbildung im Gefängnis beendet, für den sieht Klaus Strakus keine Nachteile gegenüber den draußen Ausgebildeten: „Unsere Lehrlinge haben dieselben Chancen, selbst heute, in schwierigen Zeiten. In der Regel können wir bei den Arbeitgebern auch keine Vorurteile feststellen. Welche persönlichen Probleme die ehemaligen Häftlinge mitbringen, ist natürlich eine andere Frage.“

Studenten im Knast sind selten. Renate Angelika Schulz von der TU betreut die gefangenen Studenten. Im vergangenen Semester gab es 23, die an der Fernuniversität Hagen studierten. „Doch fast alle davon sind Gasthörer, die sich aus Interesse einige Studienbriefe schicken lassen“, sagt sie: „Nur vier studieren im Moment abschlußorientiert.“ Nach Schulz' Eindruck sind die Gasthörer „in der Regel überfordert und verlieren schnell die Lust“. Von den eingeschriebenen Studenten sitzen drei in Tegel. Haben sie es leichter, weil es im Knast keine Ablenkung gibt? „Nein, dafür gibt es andere Probleme“, sagt Schulz. „Das Hauptproblem ist die Isolation.“ Ein Austausch unter den Studierenden ist kaum möglich, weil sie in unterschiedlichen Häusern wohnen und verschiedene Fächer studieren.

Wer sein Studium nicht im Gefängnis beendet, wird schnell zum Abbrecher. Renate Schulz fällt auf Anhieb nur einer ein, der an der TU zu Ende studiert hat. Allerdings kann sie meist nicht mehr verfolgen, was die Halbstudierten aus ihrer Freiheit machen. Aber ihr Eindruck ist: Frisch Entlassene haben mit so vielen Problemen zu kämpfen, daß das Studium in den Hintergrund rückt. Lennart Paul

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