■ Normalzeit: Feige Attacke auf einen Herrenausstatter
Seit 101 Jahren gibt es nun schon das Herrenbekleidungsgeschäft „Kusto“ am Heinrichplatz, das uns ebenso lieb wie teuer ist – und deswegen hier verteidigt werden soll. Denn eine Gruppe gewissenloser Jugendlicher hat dort am 7. und 22. Januar sämtliche Scheiben eingeworfen. Selbiges war schon einmal am 1. Mai 1987 und zu Silvester 1997 passiert, aber diese Attentate geschahen quasi aus Versehen, während die jetzigen gezielt verübt wurden – aus einer kleinen „Demo“ heraus, auf der einige Teilnehmer die rätselhaften Worte „Krieg“ und „Europa“ skandierten.
In der Oranienstraße kursieren mehrere Tätertheorien: 1) Veganer aus Mitte, die sogar Fleischerfachgeschäfte abfackeln; 2) Autonome aus dem Prenzlauer Berg, die sich für die dortige Mai- Randale der West-Autonomen rächten; 3) Jungtürken, die den gut gelegenen Laden für einen ihrer „Chefs“ leerkriegen wollten; 4) Beleidigte Bild-Zeitungslesende Antifas, die das nach der ersten Entglasung abgedruckte – und entstellt wiedergegebene! – Interview mit „Kusto“ gelesen hatten; 5) Besoffene und gehirnamputierte junge Rheinländer, die mal wieder „proletarische Kiezpolizei“ spielten; 6) Wegen des „Großen Lauschangriffs“ und des „Schönbohm-Modells“ (mehr Polizeipräsenz im Kiez) aufgebrachte und auf schnelle Medienresonanz erpichte Gutmenschen aus Schwaben, die deswegen auch gleich noch den Alfa Romeo- und den Opel-Händler entglasten, die viele hier weghaben wollen. Ein Kreuzberger Augenzeuge berichtet: „Die Täter waren weiß, männlich und jung – allein schon drei gute Gründe, um sich zurückzuhalten – und hatten zudem sichtlich keine Ahnung von Kusto!“
Dem soll hier abgeholfen werden: Gegründet wurde das Geschäft 1897 vom Maßkonfektionär Irving Mandel, der es – wahrscheinlich, um dem zunehmenden Antisemitismus zuvorzukommen – 1931 an seinen Verkäufer Kurt Stoisik abtrat. Ku.Sto. änderte zunächst den Namen und ab 1945 auch sein Angebot: „Aus alt macht neu“. Nach seinem Tod 1976 übernahm sein Neffe Jürgen Manthey den Laden, den er 1980 modernisierte. 1995 eröffnete er ein zweites Geschäft in Mariendorf. Sein Verkäufer Bodo Plaul übernahm 1996 den Kreuzberger Laden, der ihm immer noch gehört.
Das Warenangebot ist preislich in etwa zugeschnitten auf das unterste Segment der oberen Einkommensklasse, Bodo Plaul sagt es so: „Bei mir kaufen viele Türken und Tazler!“ Also Aufsteiger, wobei letztere „Kusto“ mit einem Öko-Meeresforscher verwechseln. Ich füge hinzu: Meine Klamotten sind alle von „Humana“ oder aus Warschau, bis auf ein – sündhaft teures – „Bunthemd“, mit dem ich mir besonders in Burma viele Freunde machte, noch heute erwähnen sie das „Kusto“-Kleidungsstück gelegentlich in ihren Briefen.
In den späten Achtzigern verbreiteten die „Alternativen“, daß die schrecklichen Autonomen Schutzgelderpressungen vornähmen. Darauf angesprochen meinte „Kusto“ – damals Jürgen Manthey: „Harmlos, da haben wir in den zwanziger und dreißiger Jahren Schlimmeres erlebt!“ Damals wurde der Laden von Rotfrontkämpferbund und SA gleichermaßen in die Zange genommen. Diese, weil Herrenausstatter fast immer Juden waren und jene, weil (reiche) Juden fast immer für eine „Soli-Abgabe“ gut waren. Die Autonomen der achtziger Jahre hauten alle Geschäftsleute in der Oranienstraße an – und obwohl sie vielleicht etwas unkonventionell bei „Kusto“ auftraten, soll dieser ihnen was rübergereicht haben, weswegen einige jetzt auch seinen Entglasern via „Interim“ schriftlich Prügel androhten: „Wenn das noch mal vorkommt...“ Helmut Höge
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