: Luxuswohnen in ehemaligem Obdachlosenheim
Einst war die Kastanienallee 71 in Prenzlauer Berg ein Obdachlosenquartier der Heilsarme. 1994 besetzten Straßenkinder das leerstehende Haus. Jetzt wird aus dem repräsentativen Backsteinbau ein Vorzeigeobjekt mit Lofts und Maisonette-Wohnungen in spannender Umgebung ■ Von Kathi Seefeld
Der Müll ist raus, ein Kran ragt seit ein paar Wochen vom Hinterhof aus über die Dächer von Prenzlauer Berg, während unweit vom Ku'damm bei der Gesellschaft für Grundbesitz mbH (GFG) wieder einmal Aufbaustimmung herrscht. Schon manches attraktive Objekt sei in den Jahren nach der Wende in Sachsen, dem Vogtland und inzwischen in Berlin durch die Hände des bayrischen Unternehmens gegangen. „Doch so ein herrliches Gebäude“, gerät Marketing- Chefin Barbara Lipka ins Schwärmen, „hatten wir eigentlich noch nie.“ Der Ausbau soll zügig vorangehen, erzählt Robert Girod, kaufmännischer Projektbetreuer. Probleme werde es wohl keine mehr geben, auch sei das Haus in der Grundsubstanz sehr ordentlich erhalten und hinsichtlich der Auflagen, was Denkmalschutz und so weiter angehe, alles mit dem Bezirksamt abgestimmt. Die Kastanienallee 71 wird ein Vorzeigeobjekt.
Im Winter 1994 hatten sich noch 15 obdachlose Jugendliche hinter den Backsteinmauern einquartiert. Was künftig „gut sein wird für das Renommee“ (O-Ton Lipka) der GFG, war damals ein seit Jahren leerstehendes, aber völlig intaktes und gut beheiztes Gebäude; den Februar auf der Straße zu verbringen für die BesetzerInnen dagegen keine Alternative. Sie nannten sich „Springflut“, forderten „Wohnraum für alle!“ und machten aus der Kastanienallee 71 die K71. Die Wohnungsbaugesellschaft in Prenzlauer Berg (WIP), die das Haus notverwaltete, war über die QuartiernehmerInnen wenig erfreut. Und auch die Heilsarmee, die das Gebäude in den 20er Jahren für 200.000 Reichsmark erworben hatte und im Sommer 1994 rückübertragen bekam, zeigte mit Plänen für ein eigenes Sozialprojekt in der Tasche wenig Interesse an den Sorgen der ungebetenen Gäste.
Sie wurden geräumt, mehrere Male, doch immer kehrten sie zurück. Als eine Mischung aus Alkohol, Wut, Drogen, Dreck, Liebe und Tod schrieb die K71 fortan Geschichte. An den Problemen der inzwischen mehr als dreißig, oft minderjährigen Straßenkinder, die in dem Haus einen Anlaufpunkt fanden, zeigte sich das Dilemma der Betreuung jugendlicher Obdachloser über den Bezirk hinaus. Die K71 beschäftigte regelmäßig den „Runden Tisch Instandbesetzung“. Nachdem die Jugendlichen schließlich zwei Wochen in der Kälte vor dem leerstehenden Haus campierten, trotzten sie WIP und Heilsarmee einen einjährigen Mietvertrag und dem Bezirk Mittel für SozialarbeiterInnen ab. Ihrer umstrittenen Existenz ist es wohl zu verdanken, daß Prenzlauer Berg heute über ein eigenes Haus für Straßenkinder verfügt.
Für die K71 selbst kam das Aus im Mai 1995. Der Mietvertrag wurde von der Heilsarmee nicht mehr verlängert. Völlig unspektakulär verließen die Jungen und Mädchen ihr Quartier. Einige wurden in anderen Projekten aufgenommen, nicht wenige verschwanden, wie sie gekommen waren. Die Heilsarmee, die in dem denkmalgeschützten Gemäuer 1916 ein Wohnheim für etwa 400 obdachlose Männer betrieb, war im Zugzwang. Es verging jedoch noch ein weiterer Winter, bis sie im Februar 1996 ihre Sanierungspläne für die Kastanienallee 71 publik machte. Von einem Begegnungscafé, das auch als Gemeindesaal genutzt werden könne, und von 16 Wohnungen im Seitenflügel und Quergebäude des rund 4.000 Quadratmeter umfassenden Objektes, die mit Mitteln des Senats im zweiten Förderweg gebaut werden sollten, war die Rede. Doch die Türen blieben zugemauert.
Anderthalb Jahre später zog eine nett aufgemachte Broschüre der GFG mit Sitz im bayrischen Fürth bereits Kreise. Sie bot 2- und 3-Raum-Eigentumswohnungen, „teils auch im Maisonette-Stil“ sowie „geräumige Lofts“ im „Historischen Druckhaus Kastanienallee“ an. Im Vorderhaus wurden Gewerberäume und Büros gepriesen. Die K71 war verkauft worden.
Im Hauptquartier der Heilsarmee in Köln gibt man sich bis auf den heutigen Tag ordentlich zornig. Der Senat, der „im Namen der behutsamen Stadterneuerung zwar großzügig Fördergebiete ausgewiesen hat, aber dort letztlich kaum Eigentümer fördert“, habe ihnen keine andere Wahl gelassen, meint ein Sprecher. Zwei Jahre lang wurde sich um Mittel für den Bau geförderter Wohnungen bemüht, „wir haben eine Millionen Mark ausgegeben für Vorleistungen zum Projekt, dann wollte oder konnte der Senat nichts zahlen, und wir mußten im Juni 97 verkaufen“. Das Haus sei nun in Händen von Leuten, die sich auskennen, bestätigt auch der Sprecher der Berliner Soldaten Gottes, Andreas Quiring. Ein Anteil am Gebäude gehört zwar nach wie vor der Heilsarmee. Ein Sozialprojekt betreiben wolle man an diesem Standort jedoch nicht mehr, „lediglich ein paar Büros in Prenzlauer Berg halten“, so die Auskunft aus Köln.
Die GFG trauert der ausgebliebenen Senatsförderung nicht nach. Eigentumswohnungen in Prenzlauer Berg scheinen den Entwicklungen inzwischen viel lukrativer. „Wir konnten bereits etliche Anleger gewinnen, die vermieten wollen“, berichtet Marketing-Chefin Lipka. „Einige Architekten, Anwälte oder andere Freiberufler möchten die Wohnungen auch selbst nutzen.“ Anlaß zur Sorge, daß diese sich — umgeben von UrbewohnerInnen, unsanierten Häusern oder Selbsthilfeprojekten wie der naheliegenden K77 und ohne so schicke Kneipen wie am Kollwitzplatz — in ihrem neuen Zuhause unwohl fühlen könnten, bestehe keineswegs. „Wir glauben an diesen Standort“, meint Barbara Lipka. „Es gibt ausgesprochen viele Leute, die es spannend finden, hier zu wohnen.“ Gepflegte, aber langweilige Wohnanlagen seien für die wenigsten ihrer Klienten interessant. „Das Kiezklima, die Nähe zu Berlins Mitte und zu erleben, wie sich Straßenzüge in zwei, drei Jahren verändern, das ist es, was heutzutage reizt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen