Kommentar: Flucht in den Tod
■ Abschottung Europas kostet »Flüchtlingen das Leben
Lieber Freund Apletin,
Wir warteten den ganzen Sommer auf die amerikanischen Visen. Erst jetzt scheint die Sache in Ordnung zu kommen, so daß sich nun die Frage nach den Fahrkarten erhebt. Es wäre uns sehr viel geholfen, wenn wir die Reise von Leningrad nach Wladiwostok in Rubeln zahlen könnten. Aber wir müssen, um das Visum auf dem amerikanischen Konsulat zu bekommen, die Billette bis San Francisco vorzeigen. Kann man vielleicht die russischen Billette (von Leningrad bis Wladiwostok) hierherbekommen? Hier muß – wie gesagt, für das amerikanische Konsulat – unser Gesamtfahrscheinheft zusammengestellt werden. Oder kann uns Intourist in Stockholm dabei behilflich sein? Ich hoffe ja, daß der Staatsverlag zusammen mit der „I.L.“ es ermöglichen kann, diese fünf Billette Leningrad/Wladiwostok für mich zu zahlen, es wäre von ungeheurer Bedeutung, ich sehe nicht, wie ich die Reise finanzieren kann.
An Valuta habe ich, wie Sie mir schrieben, 750 Rubel. Könnten Sie mir die in Dollar (leider muß ich bei den Amerikanern Dollar vorweisen und die Restbillette hier auch in Dollar zahlen) hier an die Gesandtschaft schicken?
Sie verstehen sicher, wie sehr wir auf Ihren Bescheid warten, es hängt so sehr viel für uns davon ab. Ich kann hier nicht mehr bleiben, unsere Aufenthaltsgesuche wurden seit Monaten nicht beantwortet, und wenn ich nicht die Aussicht auf die amerikanischen Visen gehabt hätte, würde man uns überhaupt nicht im Land gelassen haben. Und ich fühle mich immer unsicherer.
Vielen Dank für Ihre Hilfe!
Bertolt Brecht, 20. November 1940
Michail Jurjewitsch Apletin ist stellvertretender Vorsitzender der Auslandskommission des Unionsverbandes der Sowjetschriftsteller.
Bericht Seite 4
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