: Irrenanstalt mit Fragezeichen
■ Ulrich Greiner zeichnet in „Gelobtes Land“ein fahriges USA-Portrait ohne Afroamerikaner
Ulrich Greiner, Kulturkorrespondent der Zeit, hat zehn Schriftsteller in Amerika aufgesucht, sich mit ihnen über die politische und soziale Lage ihres Landes unterhalten und daraus ein Buch gemacht. Gelobtes Land (Rowohlt) fragt nach dem Zustand Amerikas und den Perspektiven: Was unterscheidet die USA von anderen Ländern? Wird der amerikanische Traum nach wie vor geträumt? Ist noch Platz für neue Immigranten? Hat „affirmative action“, die gezielte Förderung von Minderheiten, ihr Ziel erreicht?
Die Antworten von Paul Auster, E.L. Doctorow, Joan Didion, T.C. Boyle, Michael Chabon, David Guterson, Charles Johnson, Richard Ford, Walter Abish und Louis Begley fallen mal mehr, mal weniger interessant aus. Während etwa Begley dezidiert zur Politik Stellung nimmt (“Die Vorschläge der Republikaner zur Abtreibung, zur Sozialfürsorge, zum Waffenbesitz – das sind Ideen aus einer Irrenanstalt“), gibt sich Auster als ahnungsloser Künstler: „Ich weiß nicht, warum die Dinge geschehen, wie sie geschehen.“
Zweifellos handelt es sich bei den Gesprächspartnern (neun Herren, eine Dame!) nicht um die „wichtigen amerikanischen Gegenwartsautoren“, als die der Klappentext sie uns verkaufen will. Es fehlen Don DeLillo und William Gaddis, die drei Johns (Bellow, Irving, Updik); aus verständlichen Gründen: Thomas Pynchon. Doch viel entscheidender: Wenn man etwas über Minderheiten erfahren will, müßte man vielleicht auch mit Afroamerikanern wie Toni Morrison, Chicanos wie Dagoberto Gilb oder mit Einwanderern aus der Karibik wie Julla Alvarez reden.
Der einzige Schwarze (Johnson) ist nur deshalb bei Greiner zu Wort gekommen, weil Guterson ihm den Tip gab. (“Ich mußte zugeben, daß ich von dem Mann nie etwas gehört hatte.“) So hat das Buch etwas Zufälliges, und eine Erklärung dafür gibt Greiners Dank an den ehemaligen Rowohlt-Chef Michael Naumann, „der die Idee zu diesem Buch hatte und mich überredete, es zu schreiben...“
Vielleicht kann ja Moderator Denis Scheck Boden gutmachen. Der Deutschlandfund-Redakteur, Übersetzer und Literaturkritiker hat vor vier Jahren im Maro-Verlag mit Hell's Kitchen eine ähnliche Bestandsaufnahme herausgebracht. Seine „Streifzüge durch die neue US-Literatur“haben allerdings den Vorzug, daß sie sich nicht (wie Greiner) auf den Mainstream konzentrieren. Die 15 Portraits beleuchten vor allem das Thema, von dem Schriftsteller gemeinhin mehr verstehen als von Politik: die Literatur. Ralf Adler
Ulrich Greiner: „Gelobtes Land“, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1997, 285 Seiten, 39,80 Mark.
Denis Scheck: „Hell's Kitchen“, Maro Verlag, Augsburg 1994, 368 Seiten, 36 Mark.
Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38
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