: „Die USA haben die Situation nicht begriffen“
■ Salah Muchtar, Chefredakteur der in Bagdad erscheinenden Tageszeitung „al-Dschumhuria“, über die offizielle irakische Sicht der neuen Krise am Golf und die letzten Chancen auf eine friedliche Lösung
Salah Muchtar ist Chefredakteur der staatlichen irakischen Tageszeitung „al-Dschumhuria“ (Die Republik). Vor der Golfkrise 1990 war Muchtar Vizegeneralsekretär der Arabischen Liga. Er gilt als einer der ideologischen Köpfe der Staatsführung um Präsident Saddam Hussein.
taz: Wohin wird diese neue Irak-Krise führen?
Salah Muchtar: Die USA mobilisieren ihre Armee, ohne zu wissen, was nach einem Luftangriff geschehen soll. Ein Luftangriff bereitet normalerweise immer das Terrain für Bodentruppen. Aber sie sagen, daß sie nicht zu einem Landkrieg bereit sind, und ohne einen Landkrieg werden sie niemals das Land kontrollieren können. Daher wird es dem Irak möglich sein, die Folgen einzudämmen.
Was aber, wenn die USA einen Putsch initiieren?
Die USA haben die Situation nicht begriffen. Sie sind bereit, Millionen Iraker zu opfern, um den Irak zu schwächen. Das weiß jeder Iraker, egal ob er der regierenden Baath-Partei angehört oder nicht. Das ist der Grund, weshalb sich die Menschen hier in den letzten Jahren zusammengetan haben. Sieben Jahre Sanktionen haben sie geeinigt. Sie wissen, daß dem Irak ohne Einheit das Schicksal Ruandas oder Jugoslawiens droht. Und vergessen Sie nicht: Wenn der Irak in mehrere Teile zerfällt, ist das ein regionales Problem. Die Türkei und der Iran können da schnell mit hineingezogen werden. Ein separater kurdischer Staat im Norden Iraks könnte die türkischen und iranischen Kurden zur Nachahmung verleiten.
Kann der Irak aus der gegenwärtigen Krise Vorteile ziehen?
Wenn die Amerikaner mit dem Slogan angreifen, alle Präsidentenpaläste zu zerstören, in denen unsere angeblichen Massenvernichtungswaffen lagern, was würde geschehen, wenn die angeblichen Waffen zerstört sind? Dann gäbe es keinen Grund mehr, die Sanktionen aufrechtzuerhalten.
Wenn die USA unter dem Deckmantel der UN angreifen, dann würde das die UN-Charta verletzen und der Irak hätte das Recht, eine Resolution einzuklagen, die die USA und alle beteiligten Parteien verurteilt. Natürlich würden die USA ihr Veto einlegen, aber dann wären die Zeiten vorbei, in denen sich die USA als diejenigen hinstellen können, die angeblich den Willen der UN ausführen. Die UN-Charta besagt, daß zuerst alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft sein müssen, bevor irgendeine militärische Aktion im Namen der UN durchgeführt werden kann. Und so eine Entscheidung kann nur von den Mitgliedern des Sicherheitsrates getroffen werden. Wenn das nicht geschehe, dann ist ein Militärschlag der USA gegen den Irak ein eindeutiger Akt der Aggression.
Die Krise ist längst internationalisiert. Der russische Verteidigungsminister spricht von einer ernsthaften Bedrohung der strategischen Interessen seines Landes durch die USA. Und vergessen Sie nicht die arabische Reaktion. Ein Angriff würde in der arabischen Welt als westlich-zionistische Aggression gewertet, mit dem Ziel, die Araber zu zerstören. In der arabischen Welt könnte sich deshalb eine Bewegung von unten bilden, die sich nicht nur gegen die USA, sondern gegen alle an der Aggression beteiligten Parteien richtet.
Glauben Sie noch an eine diplomatische Lösung?
Im Arabischen gibt es ein Sprichwort: „Wenn du die Trauben willst, dann töte nicht den Gärtner.“ Wenn das Problem tatsächlich in der Inspektion der Präsidentenpaläste besteht, dann hat der Irak seine Bereitschaft erklärt, diese von einem Team begutachten zulassen, das vom UN-Generalsekretär gebildet wird und aus Experten der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats besteht. Das Team könnte ohne Einschränkung innerhalb von zwei Monaten die Paläste inspizieren. Damit müßte das Problem theoretisch gelöst sein. Der Irak stimmt dem Prinzip der Inspektion zu, nur mit einem anderen Team. Israel hat im letzten halben Jahrhundert 200 UN- Resolutionen ignoriert. Da dürfen wir das Recht haben, eine kleine Veränderung bei der Durchführung einer Resolution einzufordern.
Wie groß sehen Sie überhaupt noch die Chancen für eine diplomatische Lösung?
Die USA haben bereits die Entscheidung getroffen anzugreifen. Die einzige Abschreckung könnte sein, wenn die politischen Verluste größer sind als die Gewinne. Es gibt weiterhin die Möglichkeit, die USA mit Hilfe Rußlands, Frankreichs und den arabischen Ländern unter Druck zu setzen.
Also doch noch Hoffnung?
Manchmal legen die USA jegliche Vernunft, Logik und Weisheit ab und verhalten sich wie ein Cowboy. Ich glaube, daß die USA mit über 90prozentiger Wahrscheinlichkeit militärisch losschlagen werden. Interview: Karim El-Gawhary
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