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„Kompromiß“ verschärft Lauschangriff

Unionsfraktionschef Schäuble will Lauschangriff auf Pfarrer, Parlamentarier, Verteidiger erweitern – und nennt das Kompromiß. SPD wundert sich: Die Abhörmöglichkeiten einschränken, nicht ausweiten  ■ Aus Bonn Markus Franz

Im Streit um den Großen Lauschangriff hat Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble einen angeblichen Kompromißvorschlag unterbreitet. In einem Zeitungsinterview sprach Schäuble sich dafür aus, daß auch Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger abgehört werden sollten. Sie waren laut bisheriger Beschlußlage vom Abhören ausgeschlossen. Die SPD lehnte Schäubles Vorschlag als ungeeignet ab. Sie hatte genau in die andere Richtung gewollt: Zusätzlich sollten Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte von der akustischen Wohnraumüberwachung ausgenommen werden.

Schäuble bezeichnete seinen Vorstoß als Kompromißlösung für die Verhandlungen im Vermittlungsauschuß, die am 2. März beginnen. Er wünscht sich eine rasche Einigung zwischen Bundestag und Bundesrat. Schäuble begründete seinen Vorschlag mit den Worten: „Ich kann doch keinem Jornalisten erklären, warum bei ihm prinzipiell gelauscht werden darf, bei einem Abgeordneten aber nicht.“ Mit demselben Argument könnte die SPD begründen, warum sie Journalisten ebenso wie Abgeordnete, Geistliche und Strafverteidiger vom Lauschen ausnehmen will. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Peter Struck, antwortete Schäuble, es gehe nicht darum, Abhörmöglichkeiten zu erweitern, sondern darum, den Kreis der Betroffenen einzuschränken.

Schäubles Vorschlag läßt sich nur so interpretieren, daß die Union nicht von dem ursprünglichen Kompromiß abweichen will, lediglich Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger von der Wohnraumüberwachung auszunehmen. Die Botschaft an die SPD lautet: Wenn Ihr Nachbesserungen fordert, können wir das auch. Eher erweitern wir die Möglichkeiten zum Lauschangriff, als daß wir sie einschränken.

Am 6. Februar hatte der Bundesrat mit einer Grundgesetzänderung den Weg für eine akustische Wohnraumüberwachung frei gemacht. Die SPD-regierten Länder hatten jedoch einen Vermittlungsausschuß durchgesetzt, um Nachbesserungen für die Ausführungsgesetze, sprich: die Strafprozeßordnung zu erreichen. Neben der Forderung, Journalisten, Ärzte und alle Rechtsanwälte von der akustischen Wohnraumüberwachung auszuschließen, besteht die SPD darauf, die Voraussetzung für Abhöraktionen zu verschärfen. Statt des einfachen soll dringender Tatverdacht erforderlich sein. Außerdem will die SPD erreichen, daß Betroffene innerhalb eines halben Jahres über den Lauschangriff informiert werden.

SPD-Parteichef Oskar Lafontaine hatte sich zuletzt zuversichtlich gezeigt, die SPD-Vorstellungen durchsetzen zu können. Im Vermittlungsauschuß könnte die SPD mit der Mehrheit der von ihr regierten Bundesländer ein sogenanntes unechtes Vermittlungsergebnis beschließen. Dieses müßte, um Gesetz zu werden, vom Bundestag mit einfacher Mehrheit verabschiedet werden. Lafontaine bräuchte dazu einige FDP-Koalitionsabweichler. Bei der Entscheidung im Bundestag zum Großen Lauschangriff hatten immerhin zehn FDP-Abgeordnete gegen ihre eigene Koalition gestimmt. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms meint, daß es bei der FDP nicht genug Abweichler gebe, um die Regierungskoalition zu überstimmen.

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