: Schlaflose Nächte für Nigerias Generäle
Putschintrigen, Verhaftungen und ein Geheimtribunal: Wie Präsident Sani Abacha an Nigerias Staatsspitze aufräumt ■ Von Peter Donatus
Accra (taz) – Es war zwei Uhr morgens. In der Villa im Adekunle Fajuyi Crescent im Vorort Ikeja der nigerianischen Metropole Lagos klingelte das Telefon. Josephine, die älteste Frau von General Oladipo Diya, nahm den Hörer ab und eine verzweifelte Stimme meldete sich. Es war eine Freundin von Diya: „Sie haben Diyas Sicherheitschef verhaftet.“
Josephine wählte sofort die Nummer der Dienstvilla ihres Mannes in der Hauptstadt Abuja. Es klingelte sehr lange, bevor ein fremder Mann sich meldete. „Ich bin Frau Diya“, sagte Josephine. „Ich möchte mit meinem Mann sprechen. Es ist sehr dringend.“ Der Mann antwortete: „Es tut mir sehr leid – falsche Nummer!“ Josephine versuchte es später noch mehrere Male. Schließlich kam die Ansage: „Kein Anschluß unter dieser Nummer.“ Der Apparat war gesperrt.
General Oladipo Diya, zweiter Mann in Nigerias Militärjunta, arbeitete an diesem Abend des 19. Dezember 1997 in seiner Villa, als er benachrichtigt wurde, Soldaten hätten das Haus umstellt, um ihn mitzunehmen. Als Diyas Sicherheitschef das zu verhindern versuchte, eröffneten die Soldaten das Feuer. Es gab zwei Tote – darunter der Sicherheitschef. Am Ende wurde Diya verhaftet und zu Juntachef Sani Abacha in dessen Villa „Aso Rock“ gebracht.
Das Regimehaus, erbaut vom deutschen Bauunternehmen Julius Berger, gilt als eine der sichersten Residenzen der Welt. In Aso Rock saß General Abacha, gekleidet in weißen Roben und mit einer dunklen Sonnenbrille – mitten in der Nacht. „Dipo“, sagte Abacha zu Diya, „bitte, setzen Sie sich. Sagen Sie mir: Was ist tatsächlich geschehen?“
Diya war müde und besorgt. Er antwortete: „Es waren die Generäle, die sich an mich wandten und mich überzeugten, daß die Armee sich für einen Regimewechsel entschieden hätte.“ Abacha fragte: „Und Sie schlossen sich dem an?“ Diya versuchte stammelnd zu erklären, die Generäle hätten ihn von der Entschlossenheit der Armee überzeugt. Abacha wurde wütend. „Warum haben Sie mich nicht informiert?“ Nach einer Pause antwortete Diya: „Das war mein Fehler. Aber wenn die Armee entschieden hatte, Sie abzusetzen, könnte sie mich umbringen, wenn ich ihren Anweisungen nicht gefolgt wäre. Außerdem versuchte ich vergeblich, Sie zu treffen. Ihr Sicherheitschef verhinderte jeden Versuch von mir.“
Dann stellte Abacha die entscheidende Frage: Wer sollte die Macht übernehmen? „Sir“, antwortete Diya, „vielleicht wäre ich als nächstrangiger Offizier zum Staatsoberhaupt ernannt worden.“
Es folgte eine lange Pause. Schließlich sagte Abacha: „Dipo – Sie wissen, daß ich auf Sie angewiesen bin. Und nun wollen Sie mich umbringen, eh?“ General Diya weinte, kniete nieder und sagte: „Bitte, verzeihen Sie mir. Es war ein Fehler, den ich nicht bewußt begangen habe. Ich hatte Angst um mein Leben.“ Abacha hob seinen Vize vom Boden auf und reichte ihm ein Taschentuch.
Nach einigen Stunden wurde Diya in die Rakuba-Kaserne der Stadt Jos 500 Kilometer nördlich von Abuja gebracht. Dort wurde er zusammen mit anderen Beschuldigten verhört. Die Untersuchung leitete der Kommandant der Kriegsschule in Abuja, Generalmajor Chris Garuba. Alles wurde heimlich aufgenommen.
20 Videobänder und 33 Tonbandaufnahmen dienen nun als Beweise gegen die angeblichen Putschisten. Seit dem 14. Februar stehen sie vor einem Militärtribunal unter Leitung des einstigen Kommandeurs der Liberia-Eingreiftruppe Ecomog, General Victor Malu. Die Tribunalseröffnung im Aso Rock glich einer Filmpremiere. Dutzende Regimegrößen, Diplomaten, ausgewählte Journalisten und traditionelle Führer strömten in das Regimegebäude, um die Videos anzusehen. So will Abacha die Öffentlichkeit davon überzeugen, daß es wirklich einen Putschversuch gab.
In seiner ersten Rede vor dem Tribunal sagte Diya, man habe ihn hereingelegt. „Es ist eine eindeutige Falle gewesen, geplant von oben. Ich war die Zielscheibe.“ In Hand- und Beinschellen gefesselt, warf Diya General Abacha sowie zwei anderen Generälen vor, die Anschuldigungen gegen ihn fabriziert zu haben.
Möglicherweise liegt die Wahrheit zwischen den gegenseitigen Komplottvorwürfen. Ein enger Verbündeter Diyas, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, berichtet, daß Diya ursprünglich im vergangenen Jahr ins Ausland fliehen wollte, um gegen Abachas Ambitionen zur Verlängerung seiner Präsidentschaft nach den geplanten Wahlen zu arbeiten. Als dies aufgedeckt wurde, habe Abacha Diya als Sicherheitsrisiko eingestuft und beobachten lassen.
Bei einem Geheimtreffen zwischen Abacha und Sicherheitsberatern seien Optionen erörtert worden, Diya zu beseitigen. Ihn zu pensionieren oder ins Ausland fliehen zu lassen, habe Abacha abgelehnt. Statt dessen sollte eine Zeitbombe in ein Flugzeug gelegt werden, mit dem Diya am 13. Dezember ins nordwestliche Makudi zu einer Beerdigung reisen wollte.
Da Diya 35 Minuten zu spät kam, so die Geschichte weiter, versuchten die Bombenleger, den Zeitzünder neueinzustellen. Die Bombe explodierte und einer der Männer starb. Die anderen Täter, schwer verletzt, sagten Diyas Sicherheitschef, sie seien von Abachas Sicherheitschef beauftragt worden. Diya habe sich erzürnt bei Abacha beschwert, der abgewiegelt habe: „Dipo, es war ein bloßer Unfall!“ Danach sei die Entscheidung zum Putschversuch gefallen.
Alles deutet darauf hin, daß General Diya und seinen Mitangeklagten das gleiche Schicksal droht wie 1995 Ken Saro-Wiwa. Sie haben keinen Zugang zu Anwälten ihrer Wahl. Die Presse ist nur zur Prozeßeröffnung und zur Urteilsverkündung – die nicht vor Ende März erwartet wird – zugelassen. Bei einer Verurteilung wegen Landesverrats droht die Hinrichtung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen