: Die doppelte Präsenz des Schielenden
■ Nicht nur für schizophrene Kunsttheoretiker: KX/KX Strich auf Kampnagel
Trotz zweier Augen sieht der Mensch nicht doppelt, es sei denn er schielt. Oder er fährt in eine andere Stadt, Kunst zu gucken, und sieht irgendwie genau das, was er meint, schon woanders gesehen zu haben. Einfacher geht es zur Zeit auf Kampnagel: Dort gibt es die gleiche Ausstellung zweimal. Kein verfrühter Aprilscherz, sondern ein Metaprojekt über „Die Kunstausstellung am Ende des 20. Jahrhunderts“.
Jan Holtmann und Florian Muser sind für diesen Dopplereffekt verantwortlich. Sie betreiben sonst die „Galerie ohne Raum“und veranstalten Ausstellungen, die auf einem Anrufbeantworter stattfinden. Ihre theoretische Auseinandersetzung gilt den Präsentationsformen von Kunst zwischen Spielwiese und elitärem White Cube. Die Kulturbehörde hat sie gerade ausgewählt, um mit 30 anderen Hamburger Künstlern unter 30 die Hansestadt im Mai bei der Ostseebiennale ArtGenda in der diesjährigen Kulturhauptstadt Stockholm zu vertreten.
Die Räume von KX-Kunst auf Kampnagel wurden aufgeteilt, und KX erhielt sein nahezu identisches Pendant KX Strich. Zwei Eingänge, der neue von außen, und der alte durchs Treppenhaus führen zur Bar. Ein gemaltes Schild verkündet „Achherjeminewasistdenndasfür-einwort“und auf Sockeln stehen Plastiken. Das Objekt „Hundebar“, eine transportable Wandveränderung im Stil von Daniel Buren aus zehn gelben Streifen, lehnt an der Wand, und die nur gelagert gezeigte Arbeit „Alle Farben, die ich hatte, auf allen Tafeln, die ich kriegen konnte“füllt die Ecke. All das ist nebenan nochmal vorhanden – nicht gleich, aber ähnlich. Den Unterschied zu studieren, bedarf es einiger Laufereien, sind doch die Betrachter nicht gewohnt, Dinge hinter Wänden präzise zu memorieren und wissenschaftlich aufeinander abzubilden wie A und A Strich.
Obwohl die Arbeiten nicht wie richtige Kunst funktionieren, weiß der gewitzte Kunstkenner doch, was gemeint ist. Diese scheinbare Ausstellung einer Künstlergruppe fiktiv zu nennen, wäre bei ihrer doppelten Präsenz irgendwie falsch. Sie scheint mehr wie ein Filmset, in dem zwei Teile einer Soap-Serie zeitgleich gedreht werden können. Oder wie die Welt und ihre Spiegelung, wie Materie und Antimaterie.
Sollte sich trotzdem jemand entschließen, eine Arbeit zu kaufen, muß er dies in beiden Welten tun: Er bekommt beide Fassungen. Gut für Zwillinge und freundlich schizophrene Kunsttheoretiker.
Hajo Schiff
KX auf Kampnagel, Do + Fr 16 – 20, Sa + So 14 – 18 Uhr, noch bis 8. März
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen