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Lebenshilfe für Plattenfreaks

■ Kultur Buch Bremen veröffentlicht die „Schwarzen Seiten“, ein schwarz-weißes Servicebuch für Platten- und CD-SammlerInnen

Das Leben ist eine einzige Tragödie. Den entscheidenden Zug verpaßt, den entscheidenden Satz nicht rausgebracht, den entscheidenden Trend verpennt. Unwiederbringlich verpaßte Gelegenheiten. Doch ab und an gibt es einen kleinen Lichtblick in dieser existentiellen Einöde. Etwa für jene, deren Gemüt mit den Jahren schwer angeschlagen wurde, nur weil sie es damals vergeigt haben, sich rechtzeitig die Siegerinsingle des Grand Prix Eurovision 1967 zu sichern. Nun streunen diese bedauernswerten Kreaturen über Flohmärkte auf der verzweifelten Suche nach Sandie Shaws Wadenbeißerhit „Wiedehopf im Mai“. Ein fast aussichtsloses Unterfangen. Denn kluge Menschen haben diesen Mist nie gekauft, und die weniger Klugen haben Shaws kleine Scheibe zumindest schnell wieder dem Müllkreislauf zugeführt. Die ganz, ganz Klugen aber, die haben ihre Platten gehortet. Und nur darauf gewartet, daß Thorsten Schmidt vom Verlag Kultur Buch Bremen 1998 bereits zum dritten Mal die „Schwarzen Seiten“auf den Markt wirft. Ein 160 Seiten dickes Helferlein, das den einen die sinnlose Suche auf Flöhmärkten erspart und den anderen die Möglichkeit eröffnet, ihre gehorteten Schätze an verzweifelte SammlerInnen zu vermitteln.

Ein mehr als 40-seitiges Adreß-verzeichnis, das eine Übersicht über alle mehr oder weniger exotischen Plattenläden der Republik beinhaltet, erleichtert das Schließen selbst der ausgefallensten Sammlungslücke. Nicht einmal im finstersten Finsterwalde muß der Plattenfreak darben, weil dort ein Laden namens „Discover“Hilfe offeriert. In Offenburg kann man sich an den „Spinner“wenden, in Süddeutschland warten zig „Plattenlädle“, im Rest der Nation Geschäfte wie „Scheibenbeißer“, „Scheibenhonig“oder der Bremer „Scheibenkleister“auf Kundschaft. Bei „Platten Pedro“in Berlin „jibt it fast allet“, und Rossi aus Freiburg verkauft für die Schätzchen gar Ultraschallreinigungsmaschinen. Wer nur einige schmutzige Scheiben hat: Ein Dortmunder Shop wäscht LP's für 2 Mark das Stück. Wer trotz allem nicht fündig wird, findet sicherlich Trost in Essens „Christlicher Schallplattenstube“.

Ergänzt wird das wertvolle Nachschlagewerk u.a. durch ein Mail Order- und Musikliteratur-Verzeichnis, einen Plattenbörsenkalender und einem Fanclubadressenüberblick. Im Letzteren wurde bewußt auf die Anschrift des Böhse Onkelz-Fanclub verzichtet, hingegen gelangten kommentarlos die Brutstätten der Maffay- und Heintje-VerehrerInnen in die Liste. Offenbar sind die Auswahlkriterien noch zu weit definiert.

Aber nicht nur SammlerInnen von Tonträgern werden bedient. Wer unbedingt signierte Gitarren von Clapton oder Madonnas Bühnenkostüme sein eigen nennen möchte, wird in den „Schwarzen Seiten“ebenfalls bedient. Und wen seit Jahren das schlechte Gewissen plagt, weil er monatlich bis zu fünf CD's in den Müll wirft (Bundesschnitt!), der findet ebenfalls einen Leidensgenossen, der erklärt, wie die Menschheit sich auch dieses Problems entledigen könnte. Solche Bücher braucht die Welt! zott

Die „Schwarze Seiten '98“kosten 20 Mark und sind über den Kultur Buch Bremen-Verlag unter

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